Senat ohne Überblick

GAL parodiert Kita-Plakat und spricht von 10.000 Eltern ohne Gutschein. 60.119 Gutscheine wurden verteilt. Lange heute vor dem Jugendausschuss

Goetsch: „Es ist eine Verhöhnung der Eltern, ein solches Plakat zu verbreiten“

von KAIJA KUTTER

„So viel Kita-Förderung wie noch nie“, steht auf den blauen Hamburg-Plakaten an Hamburgs Straßen, auf denen ein kleiner Fratz den Autofahrern entgegenlächelt. Hamburg fördere nun schon 49.964 Kita-Plätze. „Es ist eine Verhöhnung der Eltern, in dieser Situation ein solches Plakat zu verbreiten“, empört sich dagegen GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch. Denn in offiziellen Haushaltsplänen und Jugendberichten variierte die Platzzahl seit 1997 stets zwischen 58.000 und 53.000.

Als Replik stellte die GAL-Fraktionschefin ein leicht verändertes Plakat vor, auf dem ein böse guckendes Mädchen fragt: „Was müssen sich Hamburgs Kinder bieten lassen?... So viel Verdummung wie nie.“

Wie nun eine große Anfrage der Grünen ergab, ist die Zahl der Eltern, die auf ihren Gutschein warten, sogar noch größer als vermutet. So lagerten Mitte August exakt 3.900 unbearbeitete Erstanträge in den Bezirken, die noch nicht beantwortet wurden. Dies bedeute, dass „10.000 Eltern leer ausgehen“, schlussfolgert Goetsch. Denn hinzu kommen besagte 6.000 Eltern, die keinen Gutschein bekommen, weil das Budget leer ist, darunter 2.669 Berufstätige und 3.339 Eltern, die arbeitssuchend sind oder aus sozialen Gründen den Platz brauchen.

Letztere würden bei der Gutscheinvergabe „überhaupt nicht mehr berücksichtigt“, kritisierte GAL-Jugendpolitikerin Sabine Steffen. Dies habe „erhebliche Umsteuerungen“ in sozial schwachen Gebieten zur Folge. Steffen hatte deshalb in der parlamentarischen Anfrage auch wissen wollen, wie hoch die Auslastung bei einzelnen Trägern wie beispielsweise der städtischen „Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten“ sei. Derartige Fragen jedoch, so die Senatsantwort, könnten mit dem neuen Gutschein-System überhaupt nicht mehr beantwortet werden.

Der Senat, so Steffen, habe ohnehin „keinen Überblick mehr“ über die Zahl der Plätze. Dies sei Folge des zentralen Budgets, mit dem er ein „zu großes Wagnis“ eingegangen sei. Steffen: „Rot-Grün hatte das anders geplant. Die Budgetverantwortung sollte in den Bezirken bleiben.“

Einzeln aufgelistet, immerhin, sind in der Anfrage die ausgegebenen Gutscheine, aufgeschlüsselt nach Prioritäten und Bezirken. Alles in allem wurden 60.119 Scheine verteilt, wobei dies nicht identisch mit der Platzzahl ist. So bekamen viele Kinder mehrere Gutscheine, beispielsweise, weil sie vor der Kita in den Hort wechselten.

Mit 35 immer noch irrwitzig klein ist die Zahl der für Sprachförderung ausgegebenen Scheine. Sie wird nur noch Kindern, die bislang in keiner Kita waren, 18 Monate vor Schulbeginn bewilligt. Erschreckend hoch ist dagegen die Zahl der Kinder, die nur per Übergangsregelung – meist bis zum 31. Dezember – geduldet sind. Sie macht mit 11.930 ein Fünftel der Gutscheine aus.

SPD-Politiker Thomas Böwer findet denn auch die Frage, ob Bildungssenator Rudolf Lange (SPD) mit seinem Plakat aktuell lügt oder nicht, nicht entscheidend. Die gegenwärtige Zahl an Kita-Plätzen, so Böwer, sei „auf Pump“ finanziert, sage aber nichts über die Zukunft aus. So könne es sein, dass nach Sichtung der abgegebenen Gutscheine im Oktober tatsächlich eine höhere Anzahl an Plätzen übrig bleibe, weil Ganztagsplätze zu Teiltagsplätzen zerkleinert wurden. Böwer: „Wichtig ist, was in Zukunft passiert. Und da sehe ich im Haushalt ab 2004 eine Absenkung des Etats um 19 Millionen Euro.“ Wie berichtet, soll der Kita-Etat wegen sinkender Geburten schrittweise bis 2007 auf 278 Millionen Euro abgesenkt werden. Was Böwer irritiert, denn der Haushalt 2003 sah, bezogen auf die gleiche Geburtenprognose, keine Absenkung vor. Heute Nachmittag soll Senator Lange im Jugendausschuss zu seinem Etat Auskunft geben.