Einer Halle geht der Markt verloren

Die Eisenbahn-Markthalle hat eine wechselvolle Geschichte. Jetzt droht der 111-jährige Bau zu verwaisen: Die Eigentümerin Großmarkt GmbH fordert von den Händlern nach wie vor hohe Mieten – obwohl Gewerbemieten in Kreuzberg günstiger sind

„Das Gebäude ist ein stumpf gewordenes Juwel, das poliert werden müsste“

von ANGELA MISSLBECK

Die Eisenbahn-Markthalle an der gleichnamigen Straße in Kreuzberg SO 36 ist 111 Jahre alt geworden. Ihre wechselvolle Geschichte wird sie im Rahmen des Denkmaltags zur Schau stellen. Doch Händler und Kunden bangen um die Zukunft. Das Management hält sich bedeckt. Muss die Halle geschlossen werden?

Die Zukunft der Eisenbahnhalle wird in diesen Tagen zum Politikum. Die Markthallen-Verwaltungs-Genossenschaft befindet sich in Liquidation, deshalb sollen die Mietverträge der Händler zum 1. Oktober mit der Eigentümerin der Halle, dem Senat Berlin, vertreten durch die Berliner Großmarkt GmbH, neu geschlossen werden. Die Vertragsbedingungen sehen gegenüber den bisherigen Verträgen keine Verbesserungen für die Händler vor.

Hinzu kommt, dass die Händler zu Investitionen in Leuchtreklame verpflichtet werden und kurzfristig hohe Kautionen bezahlen sollen. Unter den Händlern macht sich langsam Katastrophenstimmung breit. Denn letzte Woche hat die Großmarkt GmbH zudem die Frist zur Unterzeichnung der Verträge verkürzt. Bis 5. September soll nun alles unter Dach und Fach sein. Einzelne Händler haben jedoch bereits signalisiert, die Halle verlassen zu müssen, sollte die Großmarkt GmbH nicht Verhandlungsbereitschaft zeigen. „Damit droht ein Leerräumen der Halle, das nicht akzeptiert werden kann“, sagt Stefan Zackenfels, SPD-Abgeordneter aus Friedrichshain-Kreuzberg. Sein Eindruck ist, „dass auch die politische Ebene sich im Augenblick dort nicht genügend bewegt“. Er fragt: „Wie genau will der neue Eigentümer mit der Halle umgehen, mit wem will er das Konzept umsetzen?“ Es werde Zeit, dass die Karten auf den Tisch gelegt würden, fordert Zackenfels.

Die Händler hatten die Liquidation der Markthallen-Verwaltungs-Genossenschaft zunächst als Chance begriffen, über ortsübliche Mieten und andere Konditionen verhandeln zu können. Doch die neuen Mietverträge sehen für die Flächen der Eisenbahnhalle die gleiche Miethöhe vor wie bisher. Nach Auskunft der Großmarkt GmbH ist „kein Entgegenkommen möglich. Die Mieten sind kostendeckend kalkuliert“, so Großmarkt-Geschäftsführer Rolf Brauer. Etwas mehr als 30 Euro monatlich müssen die Händler pro Quadratmeter Verkaufsfläche berappen, Müllabfuhr, Reinigung und Heizung der Verkehrsflächen inklusive. Im Umfeld der Eisenbahnhalle sind die Gewerbemieten deutlich niedriger.

Unterschrieben hat noch keiner der Händler, und einer geht ganz leer aus: Wegen zu hoher Mietrückstände droht dem griechischen Feinkosthändler eine Räumungsklage. Nach dem Eierladen und dem Hundefutterverkauf ist das in diesem Jahr der dritte Stand, der schließen muss. Kurz vor Weihnachten ist letztes Jahr ein Händler für Kinderbekleidung und Socken eingezogen. Erst kürzlich neu eröffnet hat ein Stand mit asiatischem Krimskrams. Dennoch stehen mehr als die Hälfte der Einzelhandelsflächen schon lange leer.

„Mit komischen Murksständen Flächen zu belegen ist noch schlechter, als sie leer zu lassen“, meint Christoph Albrecht von der Anwohnerinitiative Lausitzer Platz. „Damit die Halle wieder Profil kriegt, müsste das Management dafür sorgen, einen attraktiven Mix an Händlern in die Halle zu holen.“ Auf den Leerstand angesprochen, greift er eine Diskussion auf, die bereits im November letzten Jahres geführt wurde: „Das Argument, halbe Miete ist gleich volle Halle, gilt nach wie vor.“

Hoffnung schaffte vor kurzem ein Artikel in der Berliner Morgenpost. Darin wies der Kreuzberger Baustadtrat Lorenz Postler auf die Unterschiede in der Kaufkraft zwischen Marheineke-Halle, die ebenfalls zur Großmarkt GmbH gehört, und Eisenbahnhalle hin: „Es wurden deshalb bereits mit der Senatswirtschaftsverwaltung Gespräche geführt. Dort wird jetzt ein Konzept für gestaffelte Mietpreise erarbeitet.“ Postler stand der taz für eine Bestätigung nicht zur Verfügung.

Doch die Senatswirtschaftsverwaltung dementierte auf Nachfrage: „Wir sind im Aufsichtsrat der Großmarkt GmbH, aber wir erarbeiten nicht das Konzept. Wir haben eine Kontrollfunktion, aber keine aktive Rolle in der Geschäftsführung“, sagte Sprecher Christoph Lang.

Das Management hält sich bedeckt. Muss die Halle geschlossen werden?

Die Bauzäune in der Halle wurden auf- und wieder abgebaut. Es tut sich also etwas, aber keiner scheint zu wissen, was. „Die sagen uns nichts“, klagt eine Händlerin. Die Schweigsamkeit des Managements scheint sich zu bestätigen: Auf die Frage, ob es denn ein Konzept zur Neuvermietung der Leerflächen gebe, stellt Rolf Brauer von der Großmarkt GmbH lediglich fest: „Dazu sage ich nichts.“ Ob es Interessenten gebe? Brauer: „Keine konkreten – wegen der Kaufkraft.“

Die Kaufkraft ist der wunde Punkt der Markthalle, glaubt man dem Management. Wer in der Nachbarschaft der Halle wohnt, bekommt aber den Eindruck, dass es genug Leute mit genug Geld und Spaß am Ausgeben gibt. „Die Leute, die hier wohnen, haben Geld, und sie suchen Qualität“, sagt Nasser Rashwan. Er hat vor sechs Wochen einen Getränkeladen in der Muskauer Straße – direkt um die Ecke der Markthalle – eröffnet. Dort verkauft er auch Mineralwasser in Designerflaschen für 2,10 Euro und den gleichen Champagner wie das KaDeWe, „nur einen Euro billiger, und beides läuft“, sagt Rashwan. Eigentlich wäre er gern in die Halle gezogen, aber die eingeschränkten Öffnungszeiten und die hohen Mieten haben ihn abgeschreckt. Er schüttelt den Kopf, wenn man ihn nach dem Halleneigentümer fragt: „Wenn ich Geld hätte, würde ich diese wunderschöne Halle kaufen.“

Auch Christoph Albrecht von der Anwohnerinitiative Lausitzer Platz schätzt die Kaufkraft in seiner Nachbarschaft ganz anders ein als die Hallenbetreiber: „Man sieht am Ökomarkt auf dem Lausitzer Platz, dass Qualität zieht, und zwar in einem Umkreis von mindestens zwei Kilometern. Die Halle bietet alles, um eine vielfältige Einkaufskultur zu ermöglichen.“ Albrecht glaubt an das Potenzial des Kiezes: „Die Halle hat eine große Chance, das Gebäude ist ein stumpf gewordenes Juwel, das poliert werden müsste. Sie liegt im unmittelbarem Spreeumfeld, wo eine Menge passiert.“

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di zieht mit mehr als tausend Mitarbeitern in die Nähe, auch in der Heeresbäckerei tut sich etwas, auf der anderen Spreeseite der Eisenbahnstraße entsteht in den nächsten Jahren die Anschutz-Arena. Viele gehen davon aus, dass dann auch die Brücke über die Spree wieder gebaut wird. „Die Halle vom 19. ins 21. Jahrhundert zu transferieren ist jetzt die Herausforderung“, sagt Albrecht. Er findet, die Zukunft der Eisenbahnhalle „ist nicht nur eine Wirtschaftsfrage, sondern auch eine Stadtentwicklungsfrage. Insofern sollte sich der Stadtentwicklungssenator auch einsetzen.“