Aus Zeitvertreib und auf Befehl

Lynndie England steht wegen der Foltervorwürfe vor einer Militärkommission und beruft sich auf BefehIe. Ihr Anwalt will Cheney und Rumsfeld vorladen

aus Philadelphia THILO KNOTT

Die Bilder von Abu Ghraib kehren wieder. Jene Bilder, die zum Symbol für die Grausamkeiten der Vereinigten Staaten während des Irakkrieges geworden sind. Den ganzen Tag über werden sie in den Nachrichtensendungen der US-Medien gezeigt. „Es ist ein schlimmes Kapitel der US-Geschichte, aber man muss es aufschlagen“, sagt ein Moderator des Nachrichtensenders ABC. Ehemalige Häftlinge von Abu Ghraib werden gezeigt – und sie schildern, wie sie gefoltert wurden.

Die Bilder von Abu Ghraib werden an diesem Tag auch in Fort Bragg in West Virginia gezeigt, einem der größten Militärstützpunkte der USA. Lynndie England ist zur ersten Anhörung vor eine Militärkommission geladen. Sie soll entscheiden, ob man der 21 Jahre alten Soldatin den Prozess macht. England ist in 13 Fällen angeklagt, Gefangene misshandelt zu haben. Schlimmstenfalls drohen ihr 38 Jahre Haft – und die unehrenhafte Entlassung aus der Armee.

Lynndie England erscheint in Uniform, schwarzen Schuhen und Barret. Dass sie schwanger ist, ist unübersehbar. Charles Garner soll der Vater sein, eventuell gar Anstifter der Misshandlungen in Abu Ghraib und ebenfalls angeklagt. England sagt nur „Yes, Ma’am“ oder „No, Ma’am“, wenn sie von Kommissionsoffizierin Denise Arn nach ihren Taten gefragt wird. Ansonsten sitzt sie regungslos auf der Anklagebank, die Ellbogen auf dem Tisch und mit gefalteten Händen.

Regungslos ist sie auch, als die Bilder zur Sprache kommen, die England zur Fratze des ganzen Skandals werden ließen. Wie sie auf die Genitalien eines Gefangenen zeigt, die Zigarette lässig im Mund. Wie sie über nackten Irakern posiert, die eine Pyramide bilden. Wie sie einen Häftling an einer Hundeleine hält, der am Boden liegt.

„Die Soldaten haben das aus Spaß gemacht oder um mit ihrer Frustration umzugehen, sich im Krieg zu befinden“, berichtet Paul Arthur, der im Mai die beschuldigten Reservisten der 372sten Kompanie der Militärpolizei in Abu Ghraib befragt hat, darunter auch Lynndie England. Auch sie habe nur gesagt: „Es war nur Spaß, die Soldaten haben nur herumgealbert.“ Sie sei nicht unbedingt frustriert gewesen. „Es war auch Zeitvertreib“, habe ihm England gesagt, so Arthur. Sie gab zwar zu, die Gefangenen traktiert und getreten zu haben – das sei aber „nichts Extremes“ gewesen, hat sie in der internen Befragung gesagt.

In der internen Anhörung gab England auch an, dass sie und andere Soldaten mit diesen Taten nur „Befehle von oben“ ausgeführt hätten – allerdings ohne Namen zu nennen. Darauf stützt sich nun die Verteidigung. Richard Hernandez, Englands Hauptverteidiger, attackierte die Untersuchungskommission in Fort Bragg nicht nur als unvollständig in der Beweisaufnahme, er verwies auch auf sein Recht, ranghohe Mitglieder der Bush-Regierung zu den Vorfällen zu befragen – unter anderem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney. „All unsere Informationen deuten auf ein systematisches Problem hin“, behauptete Hernandez, „die Regierung weiß, dass dieses Problem im ganzen Irak existierte und nicht nur in Abu Ghraib.“ Der Anwalt bezog sich dabei auf mehrere Papiere, die Anfang Juni in der US-Presse aufgetaucht und von der US-Regierung in Auftrag gegeben worden waren, in denen bestimmte Foltermethoden als legitim bezeichnet wurden.

Dass Cheney und Rumsfeld in den Verfahren gegen England und sechs weiteren Angeklagten (siehe Kasten) aussagen werden, halten allerdings nicht nur Prozessbeobachter für unwahrscheinlich. Auch Denise Arn machte am Dienstag deutlich, dass sie die Anhörung nicht zu einem Prozess darüber machen werde, ob ranghohe US-Offizielle die Misshandlungen befohlen haben. Zumal Ermittler Arthur auch erklärte, in den Befragungen von rund 400 Soldaten habe einzig England den Militärgeheimdienst belastet, ihr Folterbefehle gegeben zu haben. Ob England einem Militärgericht überstellt wird, entscheidet die Kommission spätestens aber am Wochenende.