„Wir brauchen dringend bessere Isotopenkarten“

Ernst Schwanghart vom Erkennungsdienst der Münchner Polizei setzt die Isotopenanalyse zur Identifizierung unbekannter Leichen ein

taz: Herr Schwanghart, man kennt die Isotopenanalyse bisher als Methode, um Lebensmittelschwindel aufzudecken. Wozu verwenden Sie sie?

Ernst Schwanghart: Erst mal zur Identifizierung von unbekannten Leichen. Wir haben die Methode aber auch schon bei Beweismitteln angewandt.

Was leistet die Analyse bei der Identifizierung von Leichen?

Man kann die Herkunft einer Leiche grob abschätzen beziehungsweise bestimmte Regionen ausschließen. Wenn eine Leiche gefunden wird, wendet man erst mal alle klassischen Methoden an. Und wenn die nicht fruchten, dann kommen die Kollegen zu uns.

Was untersuchen Sie an den Leichen?

Zähne und Knochen geben Auskunft darüber, wo die Person ihre Kindheit verbracht hat. Zum Beispiel sagt das Blei in Zahnfüllungen aus, ob die Leiche aus West- oder Osteuropa, aus Russland oder Australien kommt. In Haaren oder Nägeln kann der Aufenthaltsort der letzten Monate bestimmt werden.

Sehr sicher ist die Methode aber nicht?

Nein, das ist das Kernproblem. Diese Unsicherheit hat verschiedene Gründe: Einmal holen wir unser Essen ja nicht mehr aus dem Garten, sondern wir kaufen bei Tengelmann und Aldi, und das verwischt die Ergebnisse zu etwa 20 Prozent. Das sei die Messtoleranz, sagen uns die Wissenschaftler. Außerdem wandern Menschen aus oder machen lange Weltreisen. Einen Ort innerhalb Deutschlands zu ermitteln, wird schon schwierig. Daher ist die Isotopenanalyse vor Gericht nicht als Beweismittel beim Menschen zugelassen. Sie ist längst nicht so sicher wie eine DNA-Analyse und der Fingerabdruck.

Könnte die Isotopenanalyse auch bei der Terroristenbekämpfung eine Rolle spielen?

Das ist bislang nur angedacht. Zuerst muss sich der Gesetzgeber äußern, ob er das für opportun hält. Ich könnte mir das aber schon vorstellen. Etwa wenn jemand angibt, die letzten Monate in Mitteleuropa verbracht zu haben und die Haarprobe auf den Raum Afghanistan/Pakistan hindeutet, dann sollte man diesem Widerspruch auf den Grund gehen.

Welche Datenbanken ziehen Sie zum Vergleich heran?

Es gibt leider bisher kaum flächendeckende Datenbanken. Das Münchner Institut für Rechtsmedizin ist deswegen dabei, eine neue Datenbank aufzubauen. Wir brauchen dringend bessere Isotopenkarten, auch über weit entfernte Regionen. Unbekannte Tote sind oft deshalb unbekannt, weil sie nicht in ihrem ursprünglichen Lebensraum gefunden werden. Deswegen sind sie so schwer zu identifizieren. Im Einzelfall werden Leichen auch bewusst in fremden Regionen abgelegt, um Spuren zu verwischen.

Wie viele unidentifizierte Leichen gibt es in Deutschland, und wie viele Fälle konnte die Isotopenanalyse aufklären?

In Deutschland gibt es im Laufe von 30 Jahren 1.250 ungeklärte Fälle. Wir haben bisher 18 Untersuchungen gemacht. Nur eine davon hat uns nicht weitergebracht.

Das Polizeipräsidium München arbeitet seit 2002 mit der Isotopenanalyse und war das erste, das die Methode in der Kriminalistik anwandte. Gibt es schon Anfragen?

Natürlich kommen oft deutsche Kollegen und bitten uns um Hilfe. Wir haben aber auch schon für Holland ein Gutachten erstellt. Die Österreicher und Briten interessieren sich. Und das FBI hat auch schon angefragt.

INTERVIEW: KATHRIN BURGER