Jenseits von Berlin und Schröder

Bei Gemeindefinanzen und Umweltschutz stehen die SPD-Abgeordneten unter dem Druck ihrer Basis. So wehren sie sich gegen des Kanzlers Reformen

aus Berlin HANNES KOCH
und MATTHIAS URBACH

Wenn es um die Schule geht, kann jeder mitreden. Weil jeder sie erlitten oder genossen hat. So ähnlich ist es bei der SPD, wenn über Kommunalpolitik diskutiert wird. Fast jeder sozialdemokratische Abgeordnete hat einmal im Stadtrat seiner Heimatgemeinde gesessen. Oder war Oberbürgermeister – wie Bernd Scheelen. Der Bundestagsabgeordnete aus dem nordrhein-westfälischen Krefeld ist einer derjenigen, die mit Bundeskanzler Schröder und seinem Finanzminister Eichel über Kreuz liegen.

Denn das Bundeskabinett hat in den Augen vieler SPD-Abgeordneter ein Sakrileg begangen. Durch ihren Gesetzentwurf zur Gemeindefinanzierung bekämen die Kommunen viel weniger Geld, als sie eigentlich brauchten, erklärt Scheelen: „So wie der Vorschlag ist, kann er nicht bleiben.“ Wenn die SPD-Frakion im Bundestag heute zu ihrer Klausurtagung zusammentritt, ist Kuscheln nicht angesagt. „Der Konflikt hat eine besondere Qualität“, heißt es in der Fraktion. Hinzu kommt, dass es bei einem Streitthema nicht bleibt. Die Umweltpolitiker um Fraktionsvize Michael Müller und Hermann Scheer rebellieren dagegen, dass Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement die Förderung der Windenergie drosseln will.

Heute und morgen wird in der SPD-Fraktion mehr gestritten werden als etwa bei der Diskussion über die Gesundheitsreform letzte Woche. 109 von 251 SPD-Bundestagsabgeordneten sind auf der Liste der Fraktions-AG für Kommunalpolitik, die Bernd Scheelen leitet. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs: Fast jeder Abgeordnete steht unter dem Druck des örtlichen Bürgermeisters. Für einen wie Bernd Scheelen ist das gar nicht gut. 1999 verlor er den Oberbürgermeisterposten in Krefeld an die CDU, bei der Kommunalwahl 2004 soll ihn die SPD zurückerobern. Da muss die Bundespolitik stimmen.

Das tat sie anfangs auch. „Was Schröder in seiner Rede zur Agenda 2010 gesagt hat, konnte ich optimal vertreten“, so Scheelen. So versprach der Kanzler eine „erneuerte Gewerbesteuer“. Für Scheelen der sozialdemokratische Rest in einem Regierungsprogramm, das ansonsten durch Einschnitte ins soziale Netz geprägt ist. Die Verluste der Kommunen aus den letzten Jahren, so die Hoffnung an der SPD-Basis, sollten ausgeglichen werden, Konzerne endlich wieder Gewerbesteuer zahlen. Dann aber änderte Schröder die Richtung. Die Städte sollen jetzt zwar jährlich 5 Milliarden Euro mehr bekommen, es fehlen ihnen zurzeit aber rund 10 Milliarden. Die großen Kapitalgesellschaften werden nicht be-, sondern entlastet. Umgekehrt sollen Freiberufler erstmals Gewerbesteuer zahlen. Mancher Sozialdemokrat wittert nun „Umverteilung von großen zu kleinen Gewerbetreibenden“.

Der geballte Unmut hat inzwischen nicht nur SPD-Fraktionschef Franz Müntefering auf Kompromisssuche gehen lassen. Der könnte darin bestehen, „dass wir über die Gewerbesteuerumlage reden“, sagt Bernd Scheelen. Das ist die Summe, die die Städte von ihrer Gewerbesteuer an den Bund abtreten. Wenn die Überweisung reduziert wird, könnten den Städten 2 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen.

Auch die Energiepolitik ist für die Fraktion ein heiliges Thema. Vor dreieinhalb Jahren trotzte sie dem Wirtschaftsminister eine solide Förderung von Windkraft und Biomasse ab. Mit kaum einen Thema können die Abgeordneten vor Ort so gut für die rot-grüne Koalition werben wie mit der sauberen Energie. Nun soll das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) novelliert werden, und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement schießt quer. Der SPD-Mann aus dem Ruhrpott verärgert die Fraktion mit dem Vorstoß, einerseits die Unterstützung für Windräder kappen und andererseits Kohlesubventionen ab 2005 auf einem Sockel von 2 Milliarden Euro jährlich fortführen zu wollen.

Wolfgang Clement tue alles, grollen SPD-Abgeordnete, um das EEG in der Öffentlichkeit allein als Projekt der Grünen erscheinen zu lassen. Deshalb geben sich die Energiepolitiker in der Fraktion kämpferisch: „Für ein Ausbremsen des EEG wird es keine Zustimmung geben“, sagt etwa Hermann Scheer. Auch der stellvertretende energiepolitische Sprecher der Fraktion, Axel Berg, glaubt nicht an ein Kippen des EEG. Dieses sei eine „Erfolgsgeschichte“.

Nicht für den Wirtschaftsminister. Für ihn ist das EEG vor allem eine Last für stromintensive Betriebe. Und so will er die Fördersätze drastisch herunterfahren, bei der Windkraft allein um 40 Prozent bis 2010. Nach den Plänen des Umweltministers wären es bloß 16 Prozent. Doch die SPD-Fraktion scheint entschlossen, eine umweltfreundliche Variante des EEG durchzudrücken. Viel zu oft, so immer mehr Abgeordente, habe man Kabinettsvorlagen einfach nur geschluckt – und hinterher die schlampigen Gesetze nachbessern müssen. Dabei müsste in der Theorie eigentlich das Parlament als gesetzgebendes Organ die Vorgaben machen. Scheer hofft, dass die Konflikte um Gemeindefinanzierung und EEG endlich „eine Rückkehr zur Normalität“ einleiten.