internationale protektorate: Demokratie dekretiert
Eine wirklich passende Übersetzung für das englische Wort „Ownership“ gibt es nicht. „Eigentum“, „Besitzerschaft“, „Besitz“ bietet das Wörterbuch an. „Aneignung“ oder „Eigenverantwortung“ kommen dem aus den Sozialwissenschaften stammenden Konzept des „Ownership“ näher. Es erfreut sich seit seiner Einführung durch den ehemaligen Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, Wolfgang Petritsch, wachsender Beliebtheit. Zumindest unter Anhängern demokratischerer Modelle in internationalen Protektoraten wie Bosnien, dem Kosovo und dem Irak.
„Ownership Process in Bosnia and Herzegovina“ (Der Aneignungsprozess in Bosnien-Herzegowina) heißt denn auch der Titel eines Sammelbands, dessen Beiträge die Lage in der exjugoslawischen Republik acht Jahre nach Kriegsende zum Thema haben. Prominentester Autor des Bandes ist Petritsch selbst, der seit Mai 2002 Österreich bei den UN in Genf vertritt; herausgegeben haben es der Leiter des Schweizer Instituts für Demokratische Alternativen, Christophe Solioz, und Svebor Dizdarević, Politikprofessor in Sarajevo.
Beim Amtsantritt als Chef der internationalen Bosnien-Protektoratsbehörde 1999 stellte Petritsch überrascht fest, dass ihn vor allem progressive Bosnier drängten, mit harter Hand für den Aufbau funktionierender Institutionen zu sorgen. „Meiner Ansicht nach war es ein Widerspruch, Demokratie quasi per Dekret zu erlassen und gleichzeitig auf die Stärkung der Zivilgesellschaft zu setzen. Doch in den ersten anderthalb Jahren meines Mandats wurde ich zum bis dahin interventionistischsten Hohen Repräsentanten.“
Gefruchtet haben Petritschs Bemühungen auch zwei Jahre nach seinem Abschied nicht – so die Einschätzung des bosnischen Wirtschaftswissenschaftlers Žarko Papić. „Die totale Abhängigkeit von ausländischer Hilfe“ sieht er als „Grundeigenschaft“ Bosniens, die „eine eigenständige und nachhaltige Entwicklung“ verhindere. Sein Rezept zur Stärkung der Demokratie: Die internationalen Organisationen sollten künftig von einheimischen Experten überprüft werden, da die Arbeit der ausländischen Missionare oft von Selbsterhaltungsbedürfnissen geleitet seien.
Angesichts der anhaltenden Dominanz der nationalistischen Parteien bezeichnet Herausgeber Solioz die von Petritsch angestrebte Partnerschaft zwischen ausländischen Machthabern und lokalen Politikern als unvermeidliches, aber überwindbares Paradoxon: „Haupthindernis für wachsende Verantwortung der bosnischen Regierungen war nicht nur die – oft paternalistische – internationale Präsenz, sondern ebenso die fehlende Bereitschaft der einheimischen Politiker, sich engagiert Reformen zu widmen.“
Zu dem Schluss, dass es bis zur eigentlich erstrebenswerten, vollständigen Übergabe demokratischer Rechte an die Bevölkerung ein weiter Weg ist, der ohne internationale Unterstützung zum Scheitern verurteilt wäre, kommt auch Kemal Kurspahić, während des Krieges Chefredakteur der renommierten bosnischen Tageszeitung Oslobodenje. Mit „Prime Time Crime. Balkan Media in War and Peace“ ist Kurspahić die wohl umfassendste Analyse der Medienlandschaft in den Republiken des früheren Jugoslawien seit dem Machtantritt Slobodan Milošević’ 1987 gelungen. Sie ist gespickt mit scharfer Kritik an Versäumnissen der internationalen Gemeinschaft beim Friedensschluss.
„Auch wenn der Dayton-Vertrag der notwendige Preis gewesen sein mag, den Krieg zu beenden, beließ er die Macht in den Händen derjenigen, die die meiste Verantwortung für den Krieg trugen. Das machte es extrem schwer, Institutionen einer funktionierenden Zivilgesellschaft herauszubilden.“ Ein Fazit, das sich leicht von Bosnien auf andere international verwaltete Nachkriegsgesellschaften übertragen lässt – sei es in Afghanistan, im Kosovo oder im Irak, der derzeit im Mittelpunkt internationaler „Nation-Building“-Konzepte steht. MARKUS BICKEL
Christophe Solioz und Svebor Dizdarević (Hg.): „Ownership Process in Bosnia and Herzegovina. Contributions on the International Dimensions of Democratization in the Balkans“. Nomos Verlag, Baden-Baden 2003, 143 Seiten, 20 Euro Kemal Kurspahić: Prime Time Crime: „Balkan Media in War and Peace“, United States Institute of Peace Press, Washington 2004, 288 Seiten, 22,23 Euro
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