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: Genug im eigenen Saft geschmort

Die spannendste Frage zu Beginn der 42. Saison in der Bundesliga ist, ob der bei der EM präsentierte Tempofußball jetzt auch in Deutschland ankommt

Die Dauerkartenverkäufe vor der 42. Bundesliga-Saison erreichten ungeahnte Höhen. „Die Liga boomt“, frohlockt Werner Hackmann, Chef der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Magath und Lucio in München, Ailton auf Schalke, Sammer in Stuttgart, Mpenza und Lauth in Hamburg, Bastürk bei Hertha – das muntere Wechselspiel von Spielern und Trainern hat etlichen Teams ein gänzlich neues Gesicht verliehen, was natürlich das Interesse anheizt. Der Fragen gibt es viele. Wie hält sich Werder im Jahr eins nach dem Schaaf-Wunder? Kriegen die Absturz-Klubs der letzten Saison, Dortmund und Hertha, diesmal die Kurve? Wann welken die erneut reichlich ausgeschütteten Vorschusslorbeeren bei Magaths goldener Bayern-Generation?

Völlig ohne Wirkung blieb offenbar das schlechte Abschneiden der Nationalmannschaft bei der EM und das folgende unwürdige Trainerfindungstheater mit dem Klinsmann-Terzett als finale Notlösung. Schon während des EM-Turniers zeigte sich deutlich, dass man hierzulande fest entschlossen war, den in Portugal gebotenen Fußball auch nach dem Abschied des DFB-Teams zu genießen. Die Einschaltquoten für die Spiele waren auch ohne deutsche Beteiligung prächtig. Umso fataler, dass inzwischen allenthalben die These propagiert wird, die WM 2006 könne nur dann ein gutes Turnier sein, wenn die Deutschen Weltmeister werden. Ein überaus kleingeistiger Standpunkt, den unseligerweise auch der neue Bundestrainer nach Kräften fördert. Das Abschneiden des eigenen Teams zur Grundlage einer großartigen Atmosphäre und seine Förderung als „nationale Aufgabe“ zu deklarieren, ist mehr als unglücklich. Weit sinnvoller wäre es, sich einfach als guter Gastgeber eines großen Fußballfestes zu betrachten, bei dem sich die besten Mannschaften der Welt hoffentlich attraktive Spiele liefern – egal, ob das eigene Team dazugehört oder nicht. Und dass Jürgen Klinsmann ausgerechnet damit hausieren geht, dass in Portugal überall Plakate mit dem Bild der Nationalmannschaft und der Aufschrift „Wir glauben an euch“ hingen, macht die Sache nicht besser. Dabei handelte es sich lediglich um Werbeposter einer portugiesischen Bank, die Sponsor der Seleçao ist.

Der Fußball, der in Portugal gespielt wurde, hat den Fans in Deutschland offenbar gefallen. In den meisten Fällen ein System, das zwar sehr auf Sicherheit bedacht war, bei dem aber rasend schnell und direkt nach vorn gespielt wurde, sobald man den Ball erobert hatte. In Italien, England und Spanien wird seit Jahren so gespielt, nicht aber in der Bundesliga. Da geht es in der Regel so zu, wie es das deutsche Team bei der EM demonstrierte. Die Bälle werden gestoppt, erst mal zurückgespielt, und dann, wenn die gegnerische Abwehr längst formiert ist, beginnt man einen eher behäbigen Angriff. Solange sich an dieser Spielweise in der Liga nichts ändert, wird sich auch im Nationalteam nichts ändern. Da werden auch die kühn avisierten neuen Konzepte des Trainerduos Klinsmann/Löw wenig helfen. Man darf davon ausgehen, dass bei den nächsten Länderspielen ziemlich genau jene Gestalten auflaufen werden, die nach dem 1:2 gegen Tschechien in Lissabon den Platz verließen (plus Deisler, wenn alles gut geht).

Die Bundesliga ist eine sehr merkwürdige Liga. Sie hat einen sehr hohen Ausländeranteil, höher sogar als in den großen spielerimportierenden Ländern England, Spanien und Italien, dies aber auf einem viel niedrigeren fußballerischen Niveau. Nur wenige Stammspieler der erfolgreicheren EM-Teams kamen aus der Bundesliga. Anders als etwa Frankreich, Portugal, zum Teil die Türkei und Japan, die ebenfalls ausländische Spieler ins Land holen, exportiert die Bundesliga so gut wie keine Spieler. Während in diesen Ländern, und erst recht in all den anderen europäischen und südamerikanischen, die reine Exporteure sind, ständig Plätze in den Teams der nationalen Ligen freiwerden, finden junge Nachwuchskräfte in der Bundesliga die meisten Arbeitsplätze besetzt vor. Und wer einmal da ist, bleibt auch. Gewechselt wird innerhalb der Liga, sogar die neuen Trainer der Bundesligaklubs sind meist die alten von anderen Bundesligaklubs. Man schmort im eigenen Saft, der von Klinsmann zu Recht geforderte Blick nach draußen ist selten. Deshalb hinkt die Bundesliga der taktischen und technischen Entwicklung des Fußballs seit vielen Jahren hinterher.

Das Gute an Europameisterschaften ist, dass dort die Defizite unnachsichtig aufgedeckt werden. Das war 2000 so, als der von Matthäus geprägte Libero-Fußball seinen Untergang erlebte und danach auch zügig aus der Bundesliga verschwand. Das war jetzt in Portugal so, wo die Langsamkeit, mangelnde Flexibilität und technische Unzulänglichkeit des deutschen Spiels offen zutage trat. Die spannendste Frage der 42. Bundesligasaion wird also nicht sein, wie sich Ailton bei Schalke und Klose in Bremen macht, sondern ob Europas Fußball endlich auch in den deutschen Stadien ankommt.

MATTI LIESKE