Europas Unis noch nicht fit fürs freie Studieren

In Bologna beschlossen Europas Minister einen freien Hochschulraum. Wenige Tage vor der Berliner Folgekonferenz klagen deutsche Studierende: Es fehlt an den sozialen und akademischen Voraussetzungen für echte Studienmobilität

BERLIN taz Bringen Sie doch mal Ihre französischen Vorlesungsmitschriften hierher“. Die Dame im Prüfungsamt ist misstrauisch. Gordon T. hat zwei Semester Jura in Paris studiert. Aber hat er es wirklich getan? Bescheinigungen der Pariser Uni reichen nicht aus, weil sie nicht auf Deutsch bescheinigen. Also muss Gordon durch seine Mitschriften überzeugen. Was zunächst nicht leicht fällt, weil die Dame Paragraphenzeichen vermisst – die es im Französischen nicht gibt.

StudentInnen sollen ins Ausland. Für eine andere Sicht auf ihr Fach, für einen Blick in ein anderes Studiensystem, für Fremdsprachenkenntnisse. Aber wer ins Ausland will, der muss vor und nach dem Aufenthalt sehr viele Stunden für Papierkram und Behördengänge einplanen.

Kein Zustand im sich vereinigenden Europa. Wissen macht an Grenzen inzwischen so wenig Halt wie Waren oder Arbeitsplätze. Deswegen einigten sich 1999 die für die Hochschulen zuständigen europäischen Minister darauf, einen „gemeinsamen europäischen Hochschulraum“ zu schaffen. Die Abschlüsse sollten verständlich und vergleichbar sein. Jedem Abschluss soll zu dem Zweck ein „diploma supplement“, ein zusätzliches und einheitliches Dokument, beigefügt werden.

Wo bleibt das europäische Bafög?

Auch das Studium selbst soll vergleichbarer werden. Dazu haben sich die europäischen Minister zwei Maßnahmen ausgedacht. Erstens soll das Studium europaweit in Bachelors und Masters aufgeteilt werden und zweitens durch ein einheitliches Punktesystem, das European Credit Transfer System (ECTS). Vorlesungen, Seminare, Hausarbeiten oder Referate können so in eine europäische akademische Währung, die Credits, umgewandelt werden.

Bis zum Bachelor müssten Studenten dann zum Beispiel ungefähr 180 Punkte sammeln, bevor sie ihren Abschluss machen. Doch vom – zum Beispiel – Grundstudium in Köln, einem Jahr Genua und einem Examen in Amsterdam sind Europas Studierende noch weit entfernt. Einen entscheidenden Aspekt des Auslandsstudiums haben die Minister bisher außer Acht gelassen – das soziale. Woher sollen die Studierenden das Geld nehmen, um frech und frei Europas Universitäten zu entdecken?

Seit der letzten Bafög-Reform im Jahr 2001 können Studierende erstmals Auslandsbafög beantragen. Voraussetzung ist allerdings, dass die ersten drei Semester in Deutschland studiert wurden. Dies finden die Studierendenvertreter des fzs (freier zusammenschluss von studierenden), dem deutschen Studenten-Dachverband, unverständlich. Sie bemängeln auch, dass Unterschiede in den Lebenshaltungskosten nicht in die Bafög-Kalkulation eingingen. Dass das Studium in Bordeaux ein teurerer Spaß sein könnte als in Jena oder Warschau, wird nicht berechnet. Auch mit Wohnheimplätzen und Sprachkursen sind die fzsler in ihrer Analyse nicht zufrieden. Deutschland ist als europäischer Hochschulraum noch nicht geeignet.

Die Studenten werden aber auch bei der Studienharmonisierung ungeduldig. „Widersprüche des europäischen Hochschulraums“ heißt der trockene Titel, mit dem der „zusammenschluss freier studentInnenschaften“ auf dem Europäischen Bildungsforum Mitte September über die Fußangeln von „Bologna“ reden will.

So trocken der Titel, so vernichtend die Kritik. Heiner Fechner, Mitglied des fzs, fällt sofort ein Bündel von unterlassenen oder unzureichenden Maßnahmen ein. Die Hochschulrektorenkonferenz unterlaufe das „diploma supplement“. Zwar hat sie ein Grundsatzdokument entworfen, das diesen Titel trägt. Aber mit Verweis auf deutsche Besonderheiten begnügt sie sich damit, das deutsche Notensystem auf Englisch zu erläutern. Für Fechner ein Zeichen dafür, „dass die anderen Staaten nicht als Partner, sondern als Konkurrenten gesehen werden“.

Schlampig läuft aus Fechners Sicht auch die Einführung des Kreditpunktesystems. Eine Vorlesung bekomme nach den Plänen vieler Unis oft mehr Punkte als ein Seminar mit Hausarbeit und Referaten, „auch wenn das Seminar viel arbeitsintensiver ist als die Vorlesung“. Offenbar orientiert sich die Verteilung der Punkte nach dem Aufwand der Professoren, nicht nach dem der Studenten. Dabei ginge es anders: Manche Unis hätten ihre Studierenden einfach gefragt, wie sie ihre Arbeitszeit aufteilen, um danach zu gewichten.

Lediglich auf eine Bologna-Anforderung regierten die deutschen Bildungspolitiker zügig: „Lieblingsmaßnahme Nummer eins ist die Einführung von Bachelor und Master“. Viel Tatkraft – und trotzdem kein Lob vom fzs. So elitär und fachlich eingeengt wie in Deutschland darf der Master laut Bologna-Beschluss nicht sein. Andererseits würde ein wenig Koordinierung gut tun. Die Kultusministerkonferenz habe noch immer keine einheitlichen Richtlinien erlassen.

Gegen das Rumdoktern von Hochschulrektoren, Kultusministern und Bundesbildungsministerin hält der fzs einen denkbar simplen Vorschlag: eine Koordinierungsgruppe, in der alle zuständigen Entscheidungsträger zusammenkommen und in dem auch die Studenten mitentscheiden sollen. Für ihre genial banale Forderung wollen die Studenten vom fzs auch eine Gegenleistung: die Studenten vertreten. MAREKE ADEN,
LAURA MÜLLER