Der Fundamentalist

Barack Obama spricht vom „Tag der Abrechnung“ und von der Zukunft seines Landes

Zuhörer der ersten Kongressrede des neuen US-Präsidenten Barack Obama haben gestutzt. „Und ich glaube, dass die Nation, die das Auto erfunden hat, die Automobilindustrie nicht im Stich lassen kann“, sagte Obama. Das Auto wurde zwar in den USA durch Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts zum Massenmodell, erfunden wurde es jedoch – in Deutschland. Carl Friedrich Benz und Gottlieb Daimler schufen 1885 und 1886 unabhängig voneinander die ersten verkehrsfähigen Kraftwagen. In einem machte Ford Geschichte: Seine „Tin Lizzie“ war 1913 das erste am Fließband gefertigte Auto.

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Es war nichts weniger als ein Richtfest, das der neue US-Präsident Barack Obama im US-Kongress feierte. Kraftvoll und entschieden errichtete er in seiner Rede vor beiden Kammern des Parlaments das Gerüst einer ehrgeizigen, wagemutigen Präsidentschaft. Und wenn diese eines Tages zu Ende sein wird, sollte ein Turm dort stehen, wo heute noch der Abgrund der Krise gähnt.

Das Fundament, das machte Obama schonungslos deutlich, sei die Erkenntnis der Fehler der Vergangenheit. Ohne den Namen seines Vorgängers George W. Bush auch nur einmal zu erwähnen, sprach er vom „Tag der Abrechnung“. US-Bürger hätten zu lange nicht an die nächste Hypothekenrate gedacht. Politiker hätten mit Steuersenkungen für Reiche den Haushaltsüberschuss verspielt. Vorschriften seien gestrichen worden, um Firmen einen schnellen Profit zu ermöglichen. Obama kritisierte jene, die Häuser kauften, obwohl sie es sich nicht leisten konnten; er kritisierte gleichzeitig Banken, die bereitwillig Kredite an Kunden vergaben, die diese nicht zurückzahlen konnten. Kurzfristige Profite seien über langfristigen Wohlstand gestellt worden und schwierige Entscheidungen seien „einfach aufgeschoben“ worden.

Obama nutzte seine knapp einstündige Rede in der Nacht zum Mittwoch, um einer nervösen, verängstigten Nation die Botschaft zu überbringen, dass der Moment der Krise nicht einer der verlorenen Chancen sei. Im Gegenteil: Die Krise ist der Anfangspunkt neuer Hoffnungen. Dabei betonte Obama, er wolle nicht nur „den Motor unseres Wohlstands wieder anwerfen“, sondern auch das Land mit „wagemutigen Aktionen und großen Ideen“ verwandeln. Nichts Bescheideneres als runderneuerte Vereinigte Staaten versprach der zuversichtliche Präsident. Mit besserer Bildung, besserer Gesundheitsversorgung und besserer Energie.

Seit Präsident Franklin Delano Roosevelts Amtszeit hat kein US-Präsident die Messlatte seines Erfolgs so alternativlos an die wirtschaftliche Gesundung des Landes gekoppelt. Und obgleich er immer wieder an das gemeinsame Interesse von Demokraten und Republikanern appellierte, das Land wieder stark zu machen und die einstige Führungsrolle in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik zurückzuerobern, so war seine „Roadmap“ dafür doch keineswegs eine, die unwidersprochen bleiben wird.

Seine Vorhaben: die Steuern für Reiche anheben, das Bildungs-, das Gesundheits- und das Finanzsystem umbauen und sie unter stärkere Staatskontrolle stellen. Dazu will er noch dem Klimawandel mit massiven Regierungsinvestitionen von rund 15 Milliarden Dollar den Kampf ansagen – und zwar sofort. Das alles sind Botschaften, die den Republikanern quer im Magen liegen werden. Da hilft es wenig, wenn Obama betont, er wolle nicht „mehr Staat“, aber gerne mehr überparteiliche Zusammenarbeit. Seit Präsident Lyndon B. Johnson Ende der 60er-Jahre hat kein Präsident mehr so stark die Rolle der Bundesregierung als Motor der Modernisierung in den Vordergrund gestellt wie Obama. Ein Programm, das unweigerlich ideologische Schlachten mit sich bringen wird.

„Nun, da wir an dieser Kreuzung der Geschichte stehen“, sagte Obama vor einem enthusiastischen Publikum, darunter durchaus auch Republikaner, „nun ruhen die Augen der Menschen dieser Welt auf uns. Sie schauen zu, was wir aus diesem Moment machen, und sie warten darauf, dass wir wieder führen.“ Obgleich der US-Präsident sich damit kurz vor der Welt jenseits der USA verbeugte, blieb er bei innenpolitischen Visionen. Nur so viel ließ er wissen: dass sich die USA gemeinsam mit den führenden Industrie- und Schwellenländern darum bemühten, eine Abschottung der Märkte zu verhindern. „Wir arbeiten mit den G-20-Staaten daran, das Vertrauen in unser Finanzsystem wiederherzustellen und die Nachfrage nach amerikanischen Gütern auf den Weltmärkten zu beleben“, sagte er.

Obama wies darauf hin, dass seine Regierung dabei sei, für den Irak und Afghanistan eine neue Strategie auszuarbeiten und das Bild der USA im Ausland aufzupolieren, ohne den Kampf gegen den Extremismus zu vernachlässigen. Im Hinblick auf Guantánamo machte er erneut klar, dass „die USA nicht foltern“. Er versprach zudem „schnelle und sichere Gerichtsverfahren für gefangen genommene Terroristen“.

Umfragen bestätigten, dass 80 Prozent der US-Bürger Obamas wagemutigen Kurs richtig finden. Er hat schon in den ersten fünf Wochen seiner Amtszeit gezeigt, dass er nicht vorhat, die Probleme nacheinander anzupacken. Bei seinem Richtfest machte er klar, dass sein zukünftiges Haus nur wachsen kann, wenn alle Bausteine darin neu sind und gleichzeitig eingesetzt werden.