Warnstreik im Schlachthaus

Arbeitskampf im fleischverarbeitenden Gewerbe. Beschäftigtenprotest in den Schlachthöfen an Rhein und Ruhr. Gewerkschaft Verdi mobilisiert gegen „moderne Sklaverei“ und für Mindestarbeitszeiten

VON ALEXANDER BÖER

In der westdeutschen Fleischindustrie geht es um die Wurst. Nach dem Scheitern der vierten Verhandlungsrunde zur Übernahme der Tarifverträge aus dem öffentlichen Dienst für die Angestellten im fleischverarbeitenden Gewerbe laufen Warnstreiks an den Schlachthöfen in Nordrhein-Westfalen. Den Anfang machte am frühen Donnerstagmorgen der Schlachthof in Coesfeld. Im Laufe des Tages folgten die fleischverarbeitenden Betriebe in Oer-Erkenschwick, Bochum und Gelsenkirchen. Dort wurde jeweils für zwei Stunden die Arbeit niedergelegt.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte zu den Streiks aufgerufen, nachdem es in der vierten Verhandlungsrunde in anderthalb Jahren nicht gelungen war, zu einer Einigung mit den Vereinigungen Kommunaler Arbeitgeberverbände zu gelangen. Hauptstreitpunkt im Arbeitskampf ist die Verdi-Forderung, beschlossene Tarifanpassungen im öffentlichen Dienst voll in den Tarifvertrag für die Angestellten für Fleischverarbeitung in den Kommunen zu übernehmen.

Tobias Schürmann, Verhandlungsleiter bei Verdi, fordert die flächendeckende Einführung eines Tarifvertrages mit einer garantierten Arbeitszeit von 18 Stunden. Hintergrund des Verdi-Vorschlags: Die bei den Kommunen angestellten Kontrolleure und Veterinäre arbeiten auf Abruf. Des weiteren sind in den Anstellungsverträgen keine Regelarbeitszeiten vereinbart, so dass die Angestellten nach Belieben geparkt werden können. „Die Kommunen führen nur die Sozialversicherungsbeiträge ab und halten die Arbeitnehmer ohne Arbeit in Reserve“, sagt Gewerkschafter Schürmann. Deshalb entstünden für die Kollegen keinerlei Ansprüche auf Arbeitslosengeld.

Edith Fröse, Tarifsekretärin bei Verdi und Teilnehmerin der Protestaktionen, spricht in diesem Zusammenhang von „moderner Sklaverei“. Gemäß des Tarifvertrages könnten die Angestellten Aufträge zur Fleischbeschau ablehnen, allerdings erhalten sie dann auch kein Gehalt. Fröse zitiert dazu eine sarkastische Redewendung der kommunal Angestellten: „Der einzige Vorteil ist, dass wir nicht arbeiten müssen“.

Horst Baumgarten von der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) lehnt die Verdi-Forderung ab. Eine vertraglich geregelte Mindestarbeitszeit in Vertragsform sei nicht möglich, so Baumgarten zur taz. Dafür gäbe es zu große Unterschiede in der Infrastruktur der Kommunen, sagt der Arbeitgeber-Sprecher. In ländlichen Gegenden untersuche ein Arzt vielleicht drei Schweine aus der Hausschlachtung in der Woche, der könne nicht für 18 Stunden bezahlt werden, sagt Baumgarten und verweist zusätzlich auf den internationalen Wettbewerb und die damit verbundene „schwere Konkurrenzsituation“ für die deutschen Schlachtereibetriebe.

Eine lokale Anpassung der Tarifverträge an kommunale Gegebenheiten sei nicht möglich, so Baumgarten weiter. Die Kommunen seien – mit Ausnahme der hessischen Städte, die aus dem Rahmentarifverträgen ausgestiegen seien – bundesweit zur Übernahme der Tarifvereinbarungen verpflichtet. Ein zusätzlicher Streitpunkt zwischen Verdi und VKA ist die Unterteilung der Gehälter nach Stunden- und Stücklohn und die damit verbundenen Modalitäten. Das von der VKA vorgeschlagene zweistufige Modell, das die Stücklöhne an die Anzahl der kontrollierten Tiere koppelt, wurde von Verdi abgelehnt. „Die Warnstreiks in NRW waren der erste Warnschuss“, sagt Tobias Schürmann von Verdi. Der Gewerkschafter droht mit weiteren Streiks – dann bundesweit.