Charlottenburger Bankskandal

Nachbarn schenken einem Cafébetreiber eine Parkbank – für die Gemütlichkeit. Da wird das Bezirksamt ungemütlich – denn ohne Toilette ist die Bank illegal

Das Problem ist einfach. Es begann, als die Leute, die über dem kleinen Stehcafé von Oliver Schünemann wohnen, mit einer Parkbank ankamen. Die wollten sie dem Café vermachen. Für die Gemütlichkeit. Schünemann hat erst abgelehnt. „Ich war mir nicht sicher, ob das erlaubt ist.“ Das Café namens „Semolli“ am Lehniner Platz gegenüber der Schaubühne ist ein Stehcafé oder „eine Imbisswirtschaft ohne Sitzgelegenheit“, wie es in der Erlaubnis heißt. Die berechtigt nicht zu „Einrichtungen, die der Bequemlichkeit oder dem längeren Aufenthalt der Gäste zu dienen bestimmt sind“, also auch nicht zum Aufstellen einer Parkbank. Gegen die Gemütlichkeit, könnte man sagen.

Genehmigt ist nur das Stehen im Café. Nach dem Gaststättengesetz wäre eine Toilette notwendig, wenn auch das Sitzen erlaubt wäre. Im Semolli gibt es keine Toilette. „Wo denn auch?“, sagt Schünemann und schaut vom Tresen zur kleinen Hinterraumküche und dann zum Fenster. Doch die Nachbarn ließen nicht locker, und irgendwann ließ Schünemann sich breit schlagen. Als die Bank stand, kam Sabine Camin, die mit ihrem Rollstuhl ohne Probleme von ihrer Wohnung zum „Semolli“ kurvte. Es gibt nur wenige hohe Bordkanten in der Gegend. Sie stellte sich neben die Bank, auf der immer öfter auch alte Leute saßen, weil eine Begegnungsstätte für Senioren in der Nähe geschlossen hatte. Camin kam dreimal die Woche. Schünemann freute sich über den Zulauf, auch wenn die Rentnerinnen und Sabine Camin nichts aßen. Die Bank und die plaudernden Damen machten das Café gemütlich, und dadurch kamen insgesamt mehr Leute.

Die Aufsicht kam auch. Eine Bank sei nicht von der Genehmigung für das „Semolli“ gedeckt. Da wurde aus dem Parkbankproblem ein Schriftverkehr von jener Sorte, den man gewöhnlich Kleinkrieg nennt. Die Kneipe sei zu klein für eine Toilette, argumentierte Schünemann. Dann dürfen die Leute eben nicht sitzen, antwortete das Bezirksamt. Das nächstgelegene Restaurant Francucci’s, erlaubt schriftlich, dass alle Besucher des Semolli die Toiletten dort mitbenutzen dürfen. Das Bezirksamt bemängelt, dass das Francucci’s keine Behindertentoilette besitzt. Camin erklärt schriftlich, dass sie lieber auf die Behindertentoilette verzichtet als auf die Bank. Wenn die Leute stehen, kann sie sich so schlecht mit ihnen unterhalten. Dann müsse sie immer hochgucken und die Stehenden immer runter. „Das ist ungemütlich.“

Das Schreiben möchte der Caféinhaber dem Sachbearbeiter vorlegen. Der habe erwidert, Einzelfälle interessierten ihn nicht. Schünemann weist das Amt darauf hin, dass nur 30 Meter entfernt eine öffentliche Behindertentoilette steht. Er verpflichtet sich schriftlich, jeden gehbehinderten Gast selbst bis vor die Tür zu begleiten – und zurück. Und jedem auch die 50 Cent Benutzungsgebühr zu bezahlen.

Das Bezirksamt reagiert nicht. Sechs Leute sind mit dem Fall beschäftigt. Vier vom Bezirksamt, einer von der Industrie- und Handelskammer, einer vom Behindertenverband. Gutachten werden angefertigt, die Aufsicht kommt immer mal wieder vorbei, die Akte wächst, ein Ordnungswidrigkeitverfahren läuft. Im Prinzip hat Schünemann Verständnis für die Aufsicht, die Gesetze, sogar für die Bürokratie. Aber man könne jemandem das Leben auch schwer machen. Oder ein Auge zudrücken.

Die Parkbank ist jetzt auseinander montiert und steht so im Keller, vor dem Semolli treffen sich keine alten Leute mehr. Sabine Camin bleibt öfter zu Hause. Es kommen weniger Leute. Es ist nicht mehr so gemütlich. Die Blätter fangen an, sich gelb zu färben. Der Himmel über dem Lehniner Platz ist grau geworden. MAREKE ADEN