„Er stand auch vor dem Nichts, als er nach Deutschland kam“

Innensenator Körting (SPD) ist entsetzt über die Berichte des Kongolesen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung sei die Abschiebung aber richtig gewesen. Er habe keinen Ermessensspielraum gehabt. Eine Familienzusammenführung in Frankreich sei nur über Freiheitsberaubung möglich gewesen

taz: Herr Körting, bereiten Sie schon Ihren Rücktritt vor?

Erhart Körting: Warum soll ich das tun?

Es sieht danach aus, dass der Kongolese Batoba, den Sie haben abschieben lassen, im Kongo geschlagen wurde. Sie hatten immer betont, die Abschiebung sei völlig gefahrlos.

Wir haben keine eigenen Vertretungen Berlins im Kongo, nur die Berichte des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Demokratischen Republik Kongo. Der letzte Bericht vom 4. August 2003 sagt: Repressionen gegen in den Kongo zurückgeführte Personen wurden bislang in keinem Fall festgestellt.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marie-Luise Beck, sagt, sie habe in diesem Fall schon vorher Sorgen gehabt, die jetzt bestätigt worden seien. Angst um Batoba war nicht ganz abwegig.

Ich kann nur das beurteilen, was mir vorliegt.

Sie hatten Ermessensspielraum.

Nein! Ich habe in der Frage keinen Ermessensspielraum. Das entscheidet abschließend das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht. Die zweite Frage ist, ob ich unabhängig von diesen Entscheidungen, ob jemand Verfolgung droht oder nicht, aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbefugnis erteile oder nicht.

Das hätten Sie machen können: Der Abgeschobene lebte zuvor elf Jahre in Deutschland.

Das Ausländerrecht gibt dafür keine Handhabe. Ich muss besondere humanitäre Gründe haben. Die wenden wir an, wenn jemand krank ist, wenn Kinder hier schon seit Jahren zur Schule gehen oder Ähnliches. Ansonsten gibt es keine besonderen humanitären Gründe.

Es gab das Angebot vom Raphaelswerk, einer Familienzusammenführung in Frankreich. Sie hatten im Vorfeld gesagt, dass das für Sie die beste Lösung sei. Warum haben Sie nicht einige Wochen gewartet?

Als Herr Batoba in Abschiebegewahrsam kam, ist an uns herangetragen worden, es gebe eventuell die Möglichkeit, dass er nach Frankreich ginge. Aber diese Möglichkeit war sehr, sehr vage. Außerdem darf ich ihn nicht zum Warten in Abschiebegewahrsam behalten. Das wäre Freiheitsberaubung.

Die Alternative ist, ihn abzuschieben, in eine völlig unsichere Situation.

Nein, das ist nicht die Alternative. Das Auswärtige Amt hat das anders geschildert. Jetzt gibt Herr Batoba Interviews, in denen das anders dargestellt wird. Das muss jetzt überprüft werden. In dem Augenblick, in dem es eine andere Situation gibt, muss anders reagiert werden.

Offenbar ist er deshalb in Gewahrsam gekommen, weil er ein Ausweisersatzpapier hatte, das ihn als Illegalen in Deutschland auswies. Das zeigt, dass es da politische Verfolgung gibt.

Nein. Passagiere, die als zurückgeführte Personen angekündigt sind, werden in den Büros der Generaldirektion der Immigration neben der Abflughalle in Kinshasa festgehalten und befragt. Das heißt nicht, dass dem Beteiligten Repressionen drohen.

In dem Fall wohl schon.

Das ist ja auch schrecklich, wenn es denn so ist. Aber das ist eine Beurteilung, die wir zum Zeitpunkt der Entscheidung treffen müssen. Sie als Journalist können eine Beurteilung im Nachhinein treffen.

Was hat die Abschiebung denn jetzt gekostet?

Sie kostet uns den Flug für den Betroffenen.

War das eine Chartermaschine, wie man es in Brandenburg machen wollte?

Nein, es war eine normale Linienmaschine.

Wie viel Geld hatte er in Kinshasa zur Verfügung? Es gab die Meldung, es seien wohl nur 15 Euro gewesen, die er im Abschiebegewahrsam bekam. Er steht vor dem Nichts, weil er dort auch keine Familie mehr hat, wie er sagt.

Er stand auch vor dem Nichts, als er vor elf Jahren in die Bundesrepublik Deutschland kam.

Aber das ist ein bisschen zynisch, Herr Körting.

Das ist doch nicht zynisch. Wenn ich mit 27 Jahren in der Lage bin, mich in ein anderes Land zu integrieren, dann muss es doch auch möglich sein, davon geht unser Ausländerrecht aus, dass es einem 38-Jährigen wieder möglich ist, sich in seiner Heimat zu integrieren.

Marie-Luise Beck sagt, man müsse vielleicht die ausländerrechtliche Praxis ändern.

Ja, wenn wirklich Repressionen zu erwarten sein sollten.

Sie machen sich keine Vorwürfe?

Nein. Ich fände es schrecklich, wenn es zuträfe, was er behauptet hat. Aber das hat nichts damit zu tun, dass meine Entscheidung beim Zeitpunkt der Entscheidung richtig war.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER