Ein ganzes Leben lang an seidenen Fäden

Ahmad Schikaki ist einer der letzten Brokat-Weber in Damaskus. Die traditionelle Kunst ist vom Aussterben bedroht

DAMASKUS taz ■ Fast sein ganzes Leben lang hing er an seinen seidenen Fäden. Wenn Ahmad Schikaki wieder einmal die 7.200 Stück Fäden in seinen Brokat-Webstuhl eingespannt hat, dann vergisst er die Welt um ihn herum. Das Handwerk, sagt der Damaszener Weber, liege ihm im Blut. Selbst nachts träumt er manchmal von neuen Mustern, die er ausprobieren möchte.

Die Arbeit am Webstuhl ist aufwändig, erfordert Geschick, mathematische Kenntnisse und Präzision. Bei den kompliziertesten Mustern, wie dem goldschimmernden „Saladin“-Stoff, einem Schlachtmotiv, auf dem die arabischen Reitertruppen das Heer der Kreuzritter besiegen, hantiert Ahmad mit sechs Spindeln gleichzeitig. Was für die schwertschwingenden Reiter wie ein leichter Kampf aussieht, ist für Ahmad Schwerstarbeit. In einer Stunde schafft er es gerade einmal, drei Zentimeter dieses Stoffes zu weben. Im ganzen Jahr produziert er 30 Meter dieser kostbaren Textilie.

Vielfältig ist der Geschmack seiner Kunden. Während die Syrer oft mit Schnittmustern aus Burda-Heften in seinen Laden kommen, um eine Brokatweste mit der Variation „Romeo und Julia“ nach Maß schneidern zu lassen, und die syrischen Kabinettsmitglieder ihre Ministersessel gerne mit dem Motiv „Schmetterling“ polstern lassen, kann er meist am Farbgeschmack die Nationalität seiner Kundschaft erraten. Die Deutschen lieben alles Gelbe, die Italiener stehen auf Gold, die Franzosen auf Blau, Spanier bevorzugen Rot, die Amerikaner tendieren zu Grün, während die Wahl der Briten eher auf seiner Meinung nach langweilige Weiß- und Brauntöne fällt.

Eigentlich wollte Ahmad Radiotechniker werden, aber sein Vater bestand darauf, dass er das Textilhandwerk lernt. „Es wird nie eine Zeit geben, in der die Menschen nackt über die Straßen gehen“, lautet dessen simples Argument. Seit 200 Jahren wird in der Familie Schikaki das Brokat-Handwerk vom Vater auf den Sohn überliefert.

Heute ist allerdings keiner von Ahmads vier Kindern an dem harten Weberhandwerk interessiert. Ahmad ist einer der drei letzten Männer, die die alte Damaszener Tradition noch aufrechterhalten. Der 54-Jährige ist zur Zeit der Einzige, der weiß, wie man neue Muster auf dem Millimeterpapier entwickelt und das Ganze dann auf den Webstuhl überträgt.

So ist die Kunst, für die Damaskus seit 1.400 Jahren bekannt ist, vom Aussterben bedroht. Vor zehn Jahren hatte Ahmad dem Industrieministerium vorgeschlagen, ein kleines Zentrum zu schaffen, in dem alles Wissen über den Brokat an die nächste Generation weitergegeben werden könnte. Drei Jahre lang lief sich Ahmad die Hacken ab. „Gute Idee“ hieß es immer wieder, geschehen ist bisher aber nichts.

Immerhin, durch sein seltenes Wissen ist der Weber inzwischen zu einer Art Brokat-VIP aufgestiegen. Er selbst bezeichnet sich gerne als „Seiden-Botschafter“ seines Landes. In über 40 Ländern hat er schon Ausstellungen gehabt und manche Kunden kommen von weit her, wie etwa die französische Schneiderin, die einmal im Jahr in seinem Laden vorbeischaut, sich hinsetzt und ihr Auftragsbuch öffnet, um dann meterweise die von Gold- und Silberfäden durchzogene Seide einzukaufen.

Kleine Stückchen seiner Werke werden sogar als Schmuck für Bouquets in einem Blumenladen in San Francisco feilgeboten. Stolz verweist der Weber auf das Autogramm von Franz Beckenbauer, das der Fußball-Altstar bei einem Besuch in Damaskus am 2. Januar 2001 in Ahmads kleines Telefonbüchlein gekritzelt hatte.

Umso unverständlicher ist für ihn der Kampf mit der syrischen Bürokratie. Ursprünglich war Ahmad eingeladen, sein Land auf der Expo 2000 in Hannover zu vertreten, als ihn ein Beamter des Tourismusministeriums, das seine Reise finanzieren sollte, zurückpfiff. Syrien, meinte dieser, solle sich modern geben und auf der Weltausstellung Computer ausstellen, „wen interessiert schließlich schon dieses alte Brokat-Zeug“. KARIM EL-GAWHARY