AKW-Betreiber ignorierte die Warnungen

Nach dem Unfall in einem japanischen Atomkraftwerk ermittelt die Polizei jetzt wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht

TOKIO taz ■ Das bei dem Unglück in dem japanischen Atomkraftwerk Mihama geborstene Rohr galt schon seit Monaten als Risiko. Schon im April 2003 war der Betreiber aufgefordert worden, seine Leitungen zu kontrollieren. Doch setzte die Kansai Electric Power (Kepco) eine Inspektion erst für den 14. August 2004 an. „Wir dachten, wir könnten die Überprüfung bis zu diesem Monat verschieben“, erklärte gestern der stellvertretende Betriebsleiter. Eine fatale Entscheidung, wie sich am Montag zeigen sollte. Aus einem teilweise korrodierten Rohr trat heißer Dampf aus. Vier Arbeiter wurden getötet, sieben erlitten teilweise schwere Verbrennungen. Hinsichtlich der Opferzahl ist es das bislang schwerste Atomunglück in Japan. Die Behörden versichern allerdings, es sei keine Radioaktivität ausgetreten.

Die Wand desRohres war nach 28 Betriebsjahren statt der ursprünglichen 10 Millimeter gerade noch 1,4 Millimeter dick. Wie die Betreibergesellschaft Kepco eingestand, wurde die Dicke der Rohre in all den Jahren nur „visuell“ überprüft und nicht mit der notwendigen Ultraschalltechnik. Bei einer Dicke von 4,7 Millimetern hätten die Leitungen ersetzt werden müssen. Nun ermittelt die Polizei wegen Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht. Die japanischen Nachrichtenagentur Kyodo zitiert Polizeiquellen im 320 Kilometer von Tokio entfernten Mihama, wonach die Betreibergesellschaft womöglich versucht habe, Kosten zu sparen.

Die japanische Nichtregierungsorganisation Citizens Nuclear Information Center (CNIC) erklärte, das Kraftwerk in Mihama sei eine alte Anlage, allerdings gebe es in Japan einige AKWs, die noch älter seien. Eines der Ziele des CNIC ist es, die Informationspolitik der Elektrizitätskonzerne kritisch zu beobachten. Offenbar kam es immer wieder vor, dass Mitarbeiter zwar von Versäumnissen wussten, aus Loyalität zu ihrem Arbeitgeber aber schwiegen.

Die Verantwortlichen des Kraftwerks in Mihama reagierten, in Japan nahezu reflexartig, mit Entschuldigungsgesten. Mit geneigtem Haupt bedauerten die Atom-Manager des zweitgrößten Stromerzeugers des Landes das Unglück. In einzelnen japanischen Medien wurde es wie ein unvermeidliches Naturereignis dargestellt. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen touchierte die Frage der Verantwortlichkeit nur am Rande, zeigte stattdessen raffinierte Schaubilder des Reaktorgeländes.

Der konservative Daily Yomiuri mahnte in einem Leitartikel, man möge jetzt nicht überreagieren. Diese Ansicht teilen dürfte auch die Regierung von Premierminister Junichiro Koizumi. Industrieminister Shoichi Nakagawa besuchte mit Helm und Overall bekleidet das Unglückswerk und versicherte: „Wir werden alles unternehmen, dass ein ähnlicher Unfall nie mehr passiert.“ Er werde dafür sorgen, dass die Bevölkerung der Atompolitik vertrauen könne. Nach der seit Jahren dauernden Serie von Pannen und Schlampereien ein fürwahr schwieriges Unterfangen. MARCO KAUFFMANN