Neuwagen sind in Monrovia fast immer weiß

Liberia ist de facto zum Protektorat der UNO geworden. Sie hat in dem kleinen westafrikanischen Land die größte Blauhelmmission weltweit

MONROVIA taz ■ Sein Name scheint unwirklich in dieser Situation. An der dunkelblauen Polizeiuniform des US-Amerikaners hängt sein Namensschild: Abendschein. Aber die Situation ist nicht annähernd so poetisch. Polizist Abendschein drückt einem Liberianer eine Mullbinde auf die offene Wunde. Neben weißen Knorpelstückchen kommt bei dem Verletzten deutlich der Beginn des Gehörgangs zum Vorschein. Ihm wurde vor wenigen Minuten das rechte Ohr abgeschnitten.

Der bosnische Polizist, der gemeinsam mit dem Amerikaner unterwegs ist, steckt sich eine Zigarette in den Mund und atmet tief. Ihr pakistanischer Kollege schüttelt ungläubig den Kopf. Der senegalesische Polizist bleibt cool: Er war früher Soldat und kennt harte Szenen. Der Nepalese weiß nicht recht, was er von all dem halten soll. Er versteht auch wenig, weil er nur gebrochenes Englisch spricht. Der pakistanische Polizist erklärt ihm auf Hindi, was los ist. Er muss viel erklären.

Aber die Situation ist unter Kontrolle. Acht Liberianer sitzen auf dem nassen Asphalt, umkreist von liberianischen Polizisten. Es nieselt, das Blut verwässert in den Pfützen. Die beiden jungen Männer, die dem anderen das Ohr abgeschnitten haben sollen, hocken Rücken an Rücken auf dem Boden, an den Ellenbogen aneinander gefesselt. Einer Frau daneben wurde der Unterarm gebrochen. Polizist Abendschein kümmert sich auch um eine stark blutende Kopfwunde eines weiteren Mannes.

Was war passiert? Ein paar ehemalige Bürgerkriegskämpfer wollten von ihrem früheren Kommandanten ihre alten Waffen zurückhaben, um damit zur UNO zu gehen und sie gegen Geld eintauschen zu können, wie das im laufenden UN-Demobilisierungsprogramm üblich ist. Als letzten Herbst die UN-Soldaten in Liberia einrückten, sammelten häufig die Anführer von kämpfenden Einheiten die Panzerfäuste und Maschinengewehre ihrer Männer ein. In diesem Fall hatte der Kommandeur seine Mitstreiter Woche um Woche vertröstet. Die Kämpfer vermuteten, dass ihr ehemaliger Anführer die Waffen bereits anderen gegeben hat. So kam es zum blutigen Streit.

Das UN-Demobilisierungsprogramm ist eine der wenigen Möglichkeiten für die geschätzten 60.000 früheren Kämpfer liberianischer Bürgerkriegsparteien, einen Neuanfang zu starten. Wer mitmacht, kriegt medizinische Hilfe, einen Crash-Kurs in politischer Bildung, Lebensmittel, Haushaltsgeräte, eine kostenlose Aus- oder Schulbildung und 300 US-Dollar. „Zwischenfälle mit Exkämpfern haben wir ein paar Mal im Monat“, sagt der senegalesische Polizist Momodou Bah. „Wir setzen immer zuerst auf Dialog. Wenn das nicht funktioniert, dann kommt eine der bewaffneten Polizeieinheiten: Jordanier, Nepalesen oder Nigerianer. Wenn auch das nicht klappt, dann kommen nigerianische Soldaten. Und spätestens dann ist Ruhe.“ Vor einem Jahr hätten nicht viele in Liberia gedacht, dass die berühmt-berüchtigten Kindersoldaten und Milizionäre des Landes jemals Ruhe geben.

Knapp 600 Polizisten aus über 30 Nationen leisten heute Polizeiarbeit in Liberia. Sie bilden die Zivilpolizei innerhalb der UN-Friedensmission. Die Sollstärke liegt bei 1.115 Polizisten. Sie sollen eine neue Polizei für Liberia aufbauen, die gegenwärtige beraten und Patrouille fahren. „Als wir vor knapp einem Jahr die Arbeit begannen, war die liberianische Polizei praktisch nicht existent“, sagt ein UN-Sprecher. „Wir fragten, wie viele Polizisten es gebe. Die Antwort war: 3.000 oder 4.000, vielleicht auch 5.000. Wie viele werden bezahlt? Antwort: Keine Ahnung. So sah die Lage aus. Wir mussten ganz von vorn beginnen.“ Viele der einst 3.500 alten Polizisten werden in der neuen Polizei keinen Platz finden.

Knapp 15.000 Blauhelmsoldaten sind in dem Land mit drei Millionen Einwohnern stationiert – die größte UN-Mission weltweit. Die mächtigen schneeweißen Geländewagen der UNO sind allgegenwärtig in Monrovia. Auch das UN-Welternährungsprogramm WFP, das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die UN-Entwicklungsorganisation UNDP sind mächtig. Als ein früherer Präsident Liberias eine der großen Straßen der Hauptstadt einmal in „UN Drive“ umbenannte, hätte er sich wohl nicht vorstellen können, dass es tatsächlich so kommen würde: Ein Drittel aller Autos in Liberia gehören der UNO. HAKEEM JIMO