hartz-debatte
: Keiner will’s gewesen sein

Ein Blick in den Wahlkalender hilft, die Kuriositäten der Hartz-Debatte zu verstehen. Da kokettiert der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt mit einer Teilnahme an den montäglichen Protestzügen – und ausgerechnet der brandenburgische CDU-Hardliner Jörg Schönbohm, für soziales Feingefühl nicht eben bekannt, springt ihm überraschend bei. Auch dem nordrhein-westfälischen CDU-Chef Jürgen Rüttgers fällt plötzlich auf, dass die Reform einer „Generalrevision“ bedarf.

KOMMENTAR VON RALPH BOLLMANN

Logisch: In Sachsen wie in Brandenburg wird nächsten Monat ein neuer Landtag gewählt, in Nordrhein-Westfalen stehen Kommunalwahlen an. Die Umfragewerte der CDU sind nach langem Höhenflug schon wieder im Sinken begriffen. Milbradt, der blasse Erbe des Dresdener Sonnenkönigs Kurt Biedenkopf, muss sogar um die absolute Mehrheit fürchten. Bevor er selbst zum Opfer des Volkszorns wird, setzt er sich lieber an die Spitze des Protests.

Besonders überzeugend ist diese Taktik freilich nicht. Inhaltlich hat die Union das Hartz-Paket stets begrüßt, bisweilen hat sie es mit ihren Vorschlägen an Radikalität gar überboten. Ihre Kritik bezog sich stets auf Formalien: Dürfen künftig auch die Kommunen Arbeitslose betreuen? Wäre es nicht besser, die Reform um ein Jahr zu verschieben – um die Wut gegen die rot-grüne Bundesregierung ins Wahljahr 2006 hinüberzuretten?

Wenn die SPD die Milbradt-Propaganda jetzt aber als „unanständig“, gar als „Perversion“ bezeichnet, dann sollte sie besser vor der eigenen Haustür kehren. Denn auch die Regierungsparteien haben in der Reformdebatte stets mit Tricks operiert. Schon die Entscheidung, die neue Sozialhilfe beschönigend „Arbeitslosengeld II“ zu nennen, hat zur Verwirrung nicht wenig beigetragen.

Außer dem zuständigen Minister Wolfgang Clement mag sich mittlerweile kaum noch ein Politiker zum Hartz-Gesetz bekennen, dem er einst zugestimmt hat. Unterschiedlich sind lediglich die Ausflüchte, mit denen das Abrücken von der Reform begründet wird – ob es nun der Zugriff aufs Sparbuch kleiner Kinder ist oder die „bürokratische Unbarmherzigkeit“ bei der Umsetzung. Da ist es höchst kurios, dass die SPD jetzt wieder über ihr „Vermittlungsproblem“ klagt. Wer von seiner Politik selbst nicht überzeugt ist, der wird auch andere nicht überzeugen können. Damit hat Oskar Lafontaine ausnahmsweise einmal Recht gehabt.