Auf dem weg in eine bürgerliche existenz

Seit 16 jahren betreut die Dortmunder Mitternachtsmission prostituierte beim ausstieg aus dem geschäft. 629 frauen haben so die wiedereingliederung in die gesellschaft geschafft. Kürzung öffentlicher gelder bedroht nun die arbeit

DORTMUND taz ■ Von den schätzungsweise 3.000 frauen, die in Dortmund als prostituierte arbeiten, haben im letzten jahr 61 mit hilfe der beratungsstelle Mitternachtsmission den ausstieg aus dem geschäft geschafft. Das erklärte gestern bei einem pressegespräch Jutta Geissler-Hehlke, leiterin der Mitternachtsmission. Damit konnten seit beginn der beratungsarbeit im jahr 1986 mehr als 620 frauen in die gesellschaft wieder eingegliedert werden und eine „bürgerliche Existenz“ aufbauen, erklärte Geissler-Hehlke.

„Der wunsch, aus dem milieu auszusteigen, entsteht bei vielen frauen, wenn die tätigkeit als prostituierte die grenzen ihrer psychischen und physischen belastbarkeit überschreitet“, so Geissler-Hehlke. Die frauen stünden dann jedoch meistens vor einem „berg von problemen“, die sie alleine nicht lösen könnten, sagt Gerlinde Iking, die den bereich der ausstiegshilfen leitet: „Die schwierige wirtschaftliche situation und die dadurch bedingten schlechten beruflichen perspektiven machen es den frauen sehr schwer, den ausstieg zu realisieren.“ Neben therapeutischen maßnahmen und dem wiederaufbau sozialer kontakte ist deshalb gerade die schuldnerberatung ein wichtiger bestandteil der ausstiegshilfe. „Wir klären ab, wie groß der schuldenberg ist, verhandeln mit den gläubigern, beantragen stundungen“, so Iking. Für jede prostituierte wird dann ein individuelles ausstiegskonzept erarbeitet. Ziel ist es, berufliche perspektiven zu entwickeln: „Prostituierte sind beim einstieg in andere erwerbstätigkeiten nicht durch geistige und manuelle defizite behindert, sondern durch die gesellschaftliche diskriminierung“, beklagen die beraterinnen die herrschende doppelmoral.

Die sozialarbeiterinnen berichten von fällen, in denen wieder eingegliederte prostituierte ihren neuen job verloren haben, nachdem kolleginnen und kollegen von ihrer früheren tätigkeit erfahren hatten. Jobs für prostituierte könnten deshalb in den meisten fällen nur durch persönliche gespräche zwischen beraterin, aussteigerin und dem potentiellen arbeitgeber gefunden werden, so Geissler-Hehlke: „Wenn eine frau 20 jahre lang ausschließlich als Prostituierte gearbeitet hat, dann können sie das bei der bewerbung nicht verschweigen.“

Die leiterin ist dennoch überzeugt, dass viele frauen aufgrund ihrer tätigkeit qualifikationen erworben hätten, die sie in neuen jobs gut einsetzen könnten: „Die frauen haben oft ein großes maß an mitgefühl und emotionaler aufmerksamkeit. Außerdem haben sie durch ihre arbeit den würdevollen umgang mit fremden körpern gelernt. Das qualifiziert sie für pflegerische berufe.“

Die arbeit der Mitternachtsmission geht mittlerweile aber weit über den bereich der ausstiegshilfen hinaus. Zu einem immer größeren aufgabenbereich wird die betreuung von opfern von menschenhandel. Allein die Dortmunder beratungsstelle betreute im vergangenen jahr 136 frauen, die nach Deutschland gebracht und hier zur prostitution gezwungen worden waren – darunter 17 jugendliche und kinder, das jüngste zwölf jahre alt. Die meisten der opfer kommen aus Bulgarien, Litauen und Russland, viele aber auch aus afrikanischen staaten. Bei der betreuung kooperiert die Mitternachtsmission eng mit der polizei. Im rahmen der zeugenschutzprogramme betreuen die sozialarbeiterinnen die opfer und verstecken sie zum beginn der gerichtsverhandlungen. 80 betreuungsplätze stehen dafür in verschiedenen einrichtungen und wohnungen der beratungsstelle bereit.

Doch die streichung öffentlicher mittel bedroht die arbeit der Mitternachtsmission. Die zahl der mitarbeiterinnen ist im vergleich zum letzten jahr von 13 auf sechs gesunken. Zwar sei viel Arbeit von ehrenamtlichen helfern übernommen worden, so Jutta Geissler-Hehlke. Aber die „furchtbaren kürzungen“ könnten so einfach nicht aufgefangen werden. ULLA JASPER