Das philippinische ensemble „New World Order“ bei Laokoon auf Kampnagel
: Ende der mythen

Bevor Hidenaga Otori, der leiter des sommerfestivals auf Kampnagel, für Laokoon rund um die welt gereist ist, erzählte er kürzlich, sei er selbst noch der in seiner heimat verbreiteten behauptung aufgesessen, in Asien gäbe es kein zeitgenössisches theater, außer in Japan. Den gegenbeweis traten in den letzten jahren compagnien aus Indien, Indonesien, Singapur an. Jetzt ist mit New World Disorder zum ersten mal eine gruppe von den Philippinen zu gast, die ihre performance „This Order“ zeigt. Mideo Cruz, mitglied des künstlerkollektivs und eine der zentralen figuren in der performancekunst der philippinischen hauptstadt Manila, gibt sich im gespräch als vertreter des modernen Asiens zu erkennen, das um neue identität ringt.

„Manchmal geht es bei uns noch zu wie im mittelalter“, sagt Cruz und erinnert sich an die vorstellung, bei der Hidenaga Otori in Manila zu gast war. Die nachbarn hatten sich beschwert. „Wir spielten in einem garten unter einem riesigen mangobaum“, erzählt er. „Unser gesang hatte die hunde in der umgebung aufheulen lassen.“ Aber nicht etwa der lautstärke wegen seien klagen gekommen. Eher wurde befürchtet, die bösen geister in dem alten baum könnten aufgeschreckt worden sein. Aberglauben sei auf den Philippinen weit verbreitet, sagt er. Ein ergebnis der vermischung von animistischem naturglauben und dem katholizismus, den die Spanier mitbrachten und der nach 300 jahren kolonisation immer noch sehr einflussreich ist.

Tanz, gesang, bildende kunst kommen in den live perfomances von New World Disorder zum einsatz, deren mitglieder sich „kreative aktivisten“ nennen. In einem cross-over der disziplinen arbeitet die gruppe einerseits mit zeichen und symbolen und setzt andererseits auf radikale körperlichkeit. Neue und traditionelle ausdrucksformen verbindet sie darin. Racquel De Loyolas hat beispielsweise in der indonesischen kulturhochburg Yogyakarta gesang und Gamelan studiert, spielt aber auch in einer band. Edwin Qinsayas kommt vom straßentheater, in das er elemente ritueller tänze einfließen lässt.

Kinder der computergeneration sind sie allemal, global player und lokale kunstaktivisten, für die das internet ebenso bühne ist wie die heimische straße. Vernetzt mit kollegen vornehmlich in Asien und Lateinamerika, finden ihre aktionen auf plätzen, in parks, auf der straße, teils illegal und stets abseits etablierter kunstpfade statt. „Am liebsten“, erzählt Cruz, „mischen wir uns mit unseren performances unter die feste oder laufen bei prozessionen mit.“ Erklären mag er seine kunst nicht, die er als einen versuch beschreibt „die mystifizierung unserer kultur zu entmystifizieren“. Kunst sei erfahrung, sei ständiger prozess, meint er. Sein handwerk hat er in workshops erlernt. Seinen lebensunterhalt verdient er als grafiker. Die Philippinen seien in Asien sehr isoliert. „Schauen sie sich nur unsere namen an. Irrtümlich könnte man uns für Spanier halten.“

„Westlicher geist in östlicher hemisphäre“ heißt denn auch Cruz‘ beitrag zum Laokoon-symposium. Klar bezieht er position gegen die globalisierung, durch deren auswirkungen vor allem die philippinische landbevölkerung zusehends verarme.

Das emblem der gruppe New World Disorder, das Cruz‘ t-shirt ziert, zeigt eine skizzierte weltkugel, durch die hindurch ein pfeil nach unten weist. Für Mideo Cruz ein zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt mit der so genannten New World Order. Dann zieht er ein album aus der tasche mit fotos, auf denen personen oder statuen ein schild mit dem New World Disorder-emblem um den hals tragen: eine moslemische schülergruppe in Indonesien, eine reihe kopfloser Buddha-statuen, ein engel aus weißem marmor.

Cruz, der vor drei tagen seinen 31. geburtstag feierte, ist zum ersten mal in Europa. Ein zweiter besuch soll bald folgen: Im Oktober wird er seine installationen in Berlin ausstellen.

Marga Wolff

New World Disorder: „This Order“: 12.–14. 8., 21 Uhr, Kampnagel