Der lohn der fron

Wir mittdreißiger haben in der regel schöne, sportliche körper, denn wir hatten noch einen persönlichen coach: unseren sportlehrer. Anders als die abiturientinnen von heute

Der sport war die einzige unterrichtsstunde, in der niemand zu widersprechen wagte

Im großen und ganzen war die schule verlorene zeit. Nichts nützliches, was man dort gelernt hat, hätte man nicht auch anderswo gelernt. Es gab nur einen lehrer, der überzeugen konnte, und der stand meist mit der stoppuhr an der ziellinie.

Der sportunterricht war der einzige unterricht, in dem niemand zu widersprechen wagte, hier herrschte eiserne disziplin. Es hat ja auch niemandem geschadet: die sportversager und turnbeutelvergesser haben ihr trauma in tröstende kreativität und lebenslangen kompensationsehrgeiz umgemünzt und sind heute die bosse der konzerne und akademien. Und diejenigen, die damals gut in sport waren, sind durch die früh erfahrene anerkennung zu ausgeglichenen und liebenswerten mitmenschen und fürsorglichen eltern geworden.

Noch heute, wenn ich auf dem sportplatz meine runden drehe, spüre ich den blick unseres sportlehrers im nacken. Er hatte immer große pläne für mich, aber es reichte weder zum orientierungsläufer noch zum abschreckenden beispiel, ich lavierte immer so dazwischen.

Wenn ich damals geahnt hätte, dass man seine leistungen durch ein paar monate training um mehr als hundert prozent steigern kann, hätte ich dieses wissen genutzt. Aber ich dachte noch, es käme nur auf die technik an, und die anderen hätten den trick beim weitsprung eben besser raus. Oder sie verstünden es besser, wie gefordert beim laufen den unterkiefer zu entspannen und dadurch schneller anzukommen.

Der trainingsaufwand hat sich aber gelohnt: meine generation hat schöne, sportliche Körper, wir kennen fett nur von den Hüften der heutigen abiturientinnen, die durch ihre ungesunde lebensweise schon jetzt älter aussehen als wir mittdreißiger. Mich überrascht dieser leistungsabfall nicht, denn ich werde ja beim joggen auf dem jahnsportplatz jede woche zeuge ihrer laschen behandlung im sportunterricht. Wir hatten noch einheitliche, schlecht sitzende sportkleidung, alle die gleiche Farbe, sodass man körperliche mängel nicht kaschieren konnte und sich entsprechend mühe gab, sie loszuwerden.

Was die mädchen heute als sportzeug tragen, hätte bei uns nicht mal fürs schwimmbad gereicht. Wenn sie zur erwärmung eine runde drehen sollen, setzen sie sich nach der hälfte der strecke zum verschnaufen auf den rasen.

Die lehrer genießen keine autorität mehr, ihre verzweifelten bemühungen um aufmerksamkeit bleiben erfolglos. Sogar den siegern selbst ist die siegerehrung lästig. „Die kerngruppenleiter bitte zu mir, damit wir die siegerehrung zügig durchführen können“, sagt der lehrer, aber seine rhetorischen mittel, die jugend an sich zu binden, stammen noch aus seiner eigenen jugend: „die gruppe b, wie bärenstark, hat den zweiten platz belegt!“. Weil immer noch alle sitzen bleiben, appelliert er an die fairness seiner schützlinge: „ehre, wem ehre gebührt“. Aber einem der geehrten ist das zu doof, er geht einfach. Der sportlehrer stürmt ihm hinterher. Denn wenn er sich bei dem nicht durchsetzt, ist alles vorbei.

Sie tun mir leid in ihrer verstocktheit, es ist ein pyrrhussieg. Sie denken, sie kämpfen um ihre freiheit, aber sie haben den kapitalismus noch nicht verstanden. In ein paar jahren werden sie ihr halbes gehalt in step-aerobic-kurse und problemzonengymnastik investieren. Aber den persönlichen coach, der ihnen in ihrer jugend vom staat gratis gestellt wird, missachten sie. Wie gern würde ich mit ihnen tauschen. Aber ich muss mich ganz alleine schinden, um noch auf den olympiazug aufzuspringen. Ich kann mir keinen konditionstrainer leisten.

JOCHEN SCHMIDT