herr tietz macht einen weiten einwurf
: Wasser ist doch nicht zu nass

FRITZ TIETZ über vorolympische unkenrufe und schreckens-meldungen direkt aus dem organisatorischen glashaus Deutschland

Fritz Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als nachfahre ostpreußischer einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich sport

Die können das nicht, die griechen das nicht hin. Griechenland ist unfähig, die olympischen sommerspiele von Athen fristgerecht zu eröffnen. So orakelte es vor noch gar nicht langer zeit beinah einhellig durch die deutsche presse.

Glaubte man den damaligen korrespondentenberichten, glich Athen vor wenigen monaten einer einzigen und überwiegend verwaisten baustelle. Sämtliche bauarbeiter waren in einen unbefristeten streik getreten und das örtliche organisationskomitee geschlossen in den urlaub gefahren, so der eindruck, den man aus der lektüre deutscher zeitungen gewann. Das als das überdachteste olympiastadion aller zeiten gedachte werde wohl ohne dach bleiben, hieß es unisono auch im fernsehen. Das turmspringerbecken hielte das wasser nicht, und in der radrennbahnhalle hätten sie vergessen, die radrennbahn mit einzubauen, meldeten die agenturen. Dann wurde gar das gerücht gestreut, in Athen müsse ausgerechnet die olympischste aller disziplinen, der marathonlauf, um einige kilometer verkürzt werden. Angeblich habe die meterproduzierende industrie Griechenlands zu kurze meter geliefert. Aus demselben grund werde wohl auch die sprintdistanz von 100 auf 95 meter verringert.

Früh schon empfahl man auch den deutschen ruderolympioniken, besser zu hause zu bleiben, falls sie nicht auf der von heftigen sommerstürmen aufgewühlten und zudem quallenverseuchten olympischen ruderetappe baden gehen wollten. Und die schwimmer wurden gleich dreifach gewarnt: das wasser in den athener schwimmbecken sei viel zu nass, lautete die eine schreckensmeldung, und die andere: die zuschauertribünen des schwimmstadions seien wegen eines architektenfehlers nur durch die damen-umkleide zu betreten. Zudem könnten die schwimmwettbewerbe unmöglich von fernsehkameras übertragen werden, weil das für eine entspiegelung des wassers notwendige sonnendach über dem becken gleichfalls nicht rechtzeitig fertig werde.

So viel zur vorolympischen presseberichterstattung in Deutschland – dem land also, das seine eigene olympia-bewerbung für 2012 so vorbildlich in den sand setzte und sich gerade erst wieder nachdrücklich als zuverlässiger ausrichter großer sportereignisse wie zum beispiel der nächsten fußball-weltmeisterschaft empfohlen hat, indem es seine nationale fußballmeisterschaft wegen eines stromausfalls (wie man ihn derzeit sonst nur in Kabul oder Bagdad erwartet) mit einstündiger verspätung anpfiff. In Griechenland hingegen läuft alles wie geschmiert. Allen unken- bzw. hunnenrufen zum trotz wird wohl morgen in Athen der irrsinn namens olympische sommerspiele pünktlich eröffnet.

Statt die griechen ausdauernd der organisatorischen unfähigkeit zu bezichtigen, hätten sich die deutschen medien lieber darauf konzentrieren sollen, ihre leser und zuschauer behutsam auf eine weitere nationale pleite einzustimmen; als die sie das sportliche abschneiden der deutschen olympioniken in Athen zweifellos erleben werden. Denn sieht man mal von einigen eher exotischen disziplinen wie einbeinig-schießen, frauenfußball oder beach-hockey ab, sind vom deutschen olympia-team kaum nennenswerte erfolge zu erwarten. Auch ein paar andere olympische aspekte hätten es im vorfeld der anstehenden spiele mehr verdient gehabt, breiter in der öffentlichkeit bekakelt zu werden: zum einen die kür der überflüssigsten olympischen disziplin (mein favorit: ganz eindeutig das gehen), zum andern die angesichts der rasanten entwicklung im aufputschmittelbereich sich immer drängender stellende frage, ob es neben der sommer-, winter- und behinderten- nicht endlich auch eine doping-olympiade geben sollte. Spiele also für alle sportler, die willens und bereit sind, sich für jede hundertstelsekunde und jeden zusätzlichen millimeter chemisch, genetisch oder sonstwie künstlich aufzumöbeln, ohne anschließend zur urinprobe gebeten zu werden. Auf dass das oberste olympische motto wieder vorbehaltlos „höher, schneller, weiter“ lauten kann und nicht weiterhin wie zurzeit: „man darf sich bloß nicht erwischen lassen“.