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Ich liebe dein lächeln

Der russische regisseur Alexander Sokurow gilt als unzugänglich – zu unrecht. Sein neuer film, „vater und sohn“, besticht durch eigenwillige bild-ton-kompositionen und durch die erotisierung des filmischen raums. Und er wagt einen vollkommen neuen blick auf eine liebe zwischen vater und sohn

Meist hinken die stimmen den lippen der laiendarsteller hinterher

von BARBARA SCHWEIZERHOF

Einerseits gehört Alexander Sokurow zu jenen selten gewordenen regieautoren, die mit ihrer kunst das publikum spalten. Nicht in zwei dicht nebeneinander liegende fraktionen von schulterzuckender akzeptanz und lauer ablehnung, sondern richtig: die einen finden seine filme unerträglich, für die anderen sind sie offenbarungen. Andererseits aber ist Sokurow einer der immer häufiger anzutreffenden kulturschaffenden, die die fortschrittlichkeit ihrer künstlerischen verfahren mit raunenden, bestenfalls esoterischen, schlimmstenfalls reaktionären tönen kommentieren. Weshalb, wer zugang zu den filmen sucht, schlecht beraten ist, sich auf die äußerungen des regisseurs zu verlassen. Aber gott sei dank gibt es seine filme.

Die sind nämlich, und das ist eines ihrer wahren geheimnisse, gar nicht so schwer zugänglich, wie man es durch das kunstaufhebens, das um sie gemacht wird, vermuten könnte. Man schaue sich „vater und sohn“ an. Dass sich nur schlecht nacherzählen lässt, was hier der plot ist, bildet die bedingung dafür, sich ganz auf die eigenartigen bild-ton-kompositionen einzulassen, die Sokurows handschrift sind. Das nichtverstehen ist der ausgangspunkt jenes sogs, den Sokurows filme ausüben. So ist zum beispiel in „vater und sohn“ von der ersten szene an, in der zwei leiber ineinander verkeilt schwer atmen, klar: hier gibt es mehr zu sehen, als auf den ersten blick ins auge springt. Aber bei Sokurow muss man keine bilder enträtseln. Es reicht, wenn man sie betrachtet und darüber nachdenkt, was man sieht.

Der erste gedanke in „vater und sohn“ angesichts der nackten körper ist allerdings ein erschrecken. Denn zuerst will einem gar keine andere auflösung in den kopf als die: eine sexszene. Zwischen vater und sohn? Am ende der sequenz, die leiber kommen in einer umarmung zur ruhe, das stöhnen löst sich in atmung auf, gibt es einen kleinen dialog zwischen den männern, der die erklärung nahe legt: der vater hat den sohn aus schlimmen albträumen gerettet. Man kommt sich ein wenig schmutzig vor, weil man an sex gedacht hat.

Obwohl Sokurow die szene in unschuld auflöst, obwohl er darauf besteht, dass wir keinen sex sehen, sondern liebe, will der gedanke an sex fortan nicht mehr aus dem kopf: Wenn der vater seinen jungen in der militärakademie besucht und dort von den übrigen soldaten bewundernd gemustert wird, wenn er selbst melancholisch den soldatenjungs beim prügeln zuschaut, wenn er auf dem dach mit nacktem oberkörper seine übungen macht. In der bewegung der körper und der art, wie sie die kamera betrachtet, liegt so viel erotische spannung, dass sie stellenweise fast schon ins schwülstige übergeht.

Wir sind es gewohnt, vater- und sohnesliebe im kino als kumpelhaftes schulterklopfen und kopfnickendes nebeneinandersitzen ausgedrückt zu sehen. Berühren sollten sie sich möglichst wenig, und wenn, findet auch die kurze herzliche umarmung im schulterklopfen ihr ende. Zärtlichkeiten zwischen vater und sohn sind ein tabu und Sokurows verfahren, sie wie romantisch verliebte zu zeigen, deshalb ein echter schockierender verfremdungseffekt.

Wie jung verliebte machen sie sich sorgen, dass das leben sie bald voneinander trennen wird. Dass die trennung sogar notwendig ist, damit sie weiterleben können. Es ist das ursprungsproblem aller liebe. Nur zwischen vater und sohn haben wir das so noch nie gesehen: dass der sohn dem vater komplimente macht für sein gutes aussehen und dinge sagt wie: „ich liebe dein lächeln.“ Auch hat man söhne schon zwischen mutter und freundin schwanken sehen, aber nie laut darüber sinnieren hören, warum er nicht beide lieben kann, den vater und die freundin. So fremd ist das alles, dass der satz vom liebenden vater, der kreuzigt, und vom liebenden sohn, der sich kreuzigen lässt, wie ein relikt des vertrauten aus den dialogen herausragt. Und sich dann aber nur schwer einordnen lässt: Ist damit ein machtverhältnis zwischen diesen liebenden angesprochen? Im ganzen liegen so viel unwirklichkeit und träumerei über dieser romanze, dass sich nur schwer in den modus der wirklichkeit zurückkehren lässt.

Diejenigen, die ihn auf die homoerotik in seinen bildern ansprechen wollten, soll Sokurow bei der pressekonferenz letztes jahr in Cannes wütend der dekadenz geziehen haben – was wahrscheinlich mehr über Sokurow selbst sagt als über seine kritiker. Trotzdem ist homoerotik ein zu eingrenzendes label für die art von erotik, die Sokurow auf die leinwand bringt. Denn er erotisiert nicht nur die männlichen körper, sondern den gesamten filmischen raum. Es ist hocherotisch, wie Lissabon hier durch kameraarbeit und beleuchtung in eine „stadt des nordens“ verwandelt wird; in den wenigen straßenszenen fährt eine tram durch gassen von unwirklicher krümmung und unwahrscheinlicher tiefe; auf den dächern herrscht heitere beschaulichkeit, wie man sie zuletzt aus den filmen von René Clair erinnert.

Zu den rot- und gelbstichigen bildern kommt die eigenartige tonspur hinzu. Meist hinken die stimmen den lippen der laiendarsteller hinterher oder eilen ihnen voraus, die absichtsvolle fehlsynchronisation trägt zum irrealen charme bei; die raffinierte montage aus geräuschen und musikfetzen schafft in scheinbar zufälliger beiläufigkeit unglaublich erotische momente. Manchmal ist es, als ob sich ein zeitloch öffnet und wir uns auf einmal in einem sowjetischen film der 30er-, dann wieder der 50er-jahre wiederfinden.

Bei aller artistischen verschrobenheit berührt dieser film eines der hauptprobleme der russischen gesellschaft, die vaterlosigkeit. Russland ist aufgrund des legendären alkoholismus und vieler weiterer demografischer probleme ein land der allein erziehenden mütter und großmütter. Die sehnsucht nach den vätern ist dementsprechend groß, wie auch aus anderen russischen filmen der letzten zeit ersichtlich wird, schließlich handeln sowohl der Venedig-preisträger des vorjahres, „die rückkehr“, als auch der demnächst anlaufende „koktebel“ von vater-sohn-beziehungen. Während diese beiden „realistisch“ beleuchten, schildert Sokurow bewusst ein märchen. Die erotik, das begehren in „vater und sohn“ stehen so auch für die intensität eines wunsches, einer sehnsucht. Das macht Sokurows film erschreckend ehrlich.

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