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Herrscherinnen übers Fleischreich

Eine Retrospektive in der Städtischen Galerie Delmenhorst zeigt Arbeiten des weitgehend vergessenen Malers Paul Kleinschmidt. Mit drallen, hochmütigen Weibern huldigen seine Bilder dem Matriarchat und preisen den Geist der Goldenen Zwanziger

Strapse und Mieder en masse, nackte Ärsche und hervorquellende Brüste – im beschaulichen Delmenhorst braut sich eine dubiose Halbwelt zusammen. Die Städtische Galerie zeigt bis 2. November Werke des 1883 geborenen Malers Paul Kleinschmidt. Teilweise waren sie noch nie in Deutschland zu sehen. „Zwischen Bar und Boudoir“ rekonstruiert das Bild eines Künstlers, der eine „Synthese der Götter“ anstrebte: „Fressereien, Weib und Wein“. Vor allem das Weib steht im Mittelpunkt der Ölbilder und Aquarelle – im Varieté, beim An- und Auskleiden, beim Ausschenken in der Bar.

Kleinschmidt, der in den Goldenen Zwanzigern zu malen begann, reiht sich thematisch zwischen Beckmann und Dix ein: Auch er war Berliner Großstadtmaler, auch ihn prägten die Erfahrungen des 1. Weltkriegs.

Doch politisch wollte er nicht sein. So fragt er in einem Brief, ob „nicht heute der Genuss den Meisten anbetungswürdig“ ist. „Das muss das Bild bringen, sonst ist es verfehlt!“ Er wollte nicht belehren, nicht kritisieren. Ihm ging es einzig um die Ästhetisierung des weiblichen Körpers. Sitzend, stehend, liegend – das Fleisch der Frauen galt ihm als höchstes Gut. Der pure Voyeurismus, für den oft seine Frau Margarete vor der Leinwand posierte.

Kleinschmidt weicht auch nicht von seinem Sujet ab, als er 1936 Deutschland verlassen muss. Seine Flucht führt ihn über die Schweiz und Holland nach Frankreich. Dort erkrankt der Maler an Angina pectoris, lebt ab 1943 wieder in Deutschland, in Bensheim.

Ölfarben kann er sich nicht mehr leisten, das Geld reicht nur noch für Aquarell- und Gouache-Bilder. Bis zu seinem Tod 1949 bleibt er thematisch den „Zwanzigern“ treu – mit all ihrem Glemmer, ihrem Überfluss. Vielleicht eine Ablenkung vom Gräuel der Nazi-Jahre.

In seiner Bildwelt geraten Männer ins Hintertreffen. Sie sind stets kleiner und dünner als die Damen. Die Hänflinge werden von den Herrscherinnen ignoriert; dieses Schicksal trifft auch den Betrachter. Die Frauen schmeißen sich ins Mieder – und trotz der herabwürdigenden Jobs behalten sie ihre Anmut, ihren Hochmut gegenüber den Männern.

Kleinschmidts Werk ist damit politischer, als es der Ausstellungskatalog verheißt. Denn der Maler dreht die Verhältnisse um. Das Matriarchat ist in seinen Bildern längst ausgerufen. Eine Idee, die zu Lebzeiten des Künstlers noch lange nicht öffentlich diskutiert wurde.

Seine Bilder sind unaufdringlich: Nie kläffen sie den Betrachter an, nie werden sie indiskret. Kleinschmidt konzentriert sich auf dunkle, kräftige Farben und eine symmetrische Bildaufteilung. Kein wirklicher Expressionist, kein wirklicher Realist – Kleinschmidt bleibt im stilistischen Grenzbereich, auf der Suche nach „Realitätssteigerung“ der dubiosen Halbwelt zwischen Bordell, Bar und Brüsten.

Jan Grundmann

„Zwischen Bar und Boudoir“, Städtische Galerie Delmenhorst, täglich außer montags 10 - 17 Uhr. Bis 2. November. Katalog: 15 Euro

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