berliner szenen Das Wesen des Huts

Von alten Damen lernen

Missliches war gestern an dieser Stelle über den Hut zu lesen. Vom „Deckel“ war die Rede und gar von verschenkter Schönheit. Das ist kein Wunder, denn wer auf dreißigjährige Frauen blickt, der wird über das Wesen des Hutes nichts erfahren.

Es ist eine andere Personengruppe, die Aufschluss und Anschauungsunterricht zu geben vermag. Allerdings ist sie aus den modisch ambitionierten Bezirken der Stadt weitgehend verschwunden, und mit ihr auch der Hut. Es geht um die reizende alte Dame. Nur sie nämlich weiß genau, dass eine Kopfbedeckung erst dann zum Hut wird, wenn sie die Erscheinung hebt, wenn also, wie die alten Damen sagen mögen, der Hut „den Zügen schmeichelt“.

Damit sind die breiten Wollstirnbänder, die letzten Winter so lästig en vogue gewesen sind und aus denen das Haar oben herauswächst wie das Kunstgras aus dem Osterkorb, von der Definition „Hut“ ebenso ausgeschlossen wie Objekte, die aussehen wie ein Filz gewordener erschlaffter Blumenstrauß. Und mag man sich vorstellen, die alte Dame kaufte ihren Hut auf dem Berliner Kunstmarkt? Wohl kaum. „Von einem neuen Hut geht ein Fluidum aus“, so hieß das schließlich in der Sprache des frühen Modejournalismus, und wer könnte, einmal auf Stilsicherheit trainiert, diese Maxime je wieder vergessen? So trifft man sie also noch heute, feinen Schrittes. Wer also könnte sie nicht erkennen? Zum Kostüm trägt sie den Schuh. Zum Schuh trägt sie die Tasche, seitlich am Körper, nie über der Schulter, nie schaukelnd in der Hand. Um den Hals trägt sie das Tuch. Und auf dem Kopf den Hut, ein wenig schräg, damit sich der Kopf leicht neigen kann. Dann kann man im Schatten des Hutes leise lächeln – schon allein für das Fluidum. KATRIN KRUSE