nebensachen aus washington
: Warum Deutsche in Amerika – oft völlig überraschend – ihre soziale Ader entdecken

Menschen sind so integrationsfähig, dass ich bisweilen gar nicht glauben mag, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt, wenn ich meine deutschen Bekannten hier in den Vereinigten Staaten wiedersehe. Das Biotop USA befördert in manchen Europäern, die sich längere Zeit hier niederlassen, einen feurigen Kommunitarismus, den ich nicht einmal im Traum in ihnen vermutet hätte.

Offenbar schlummert da etwas in uns altweltlich-frustrierten Staatskritikern, von dessen genetischer Existenz man bei all den heimatlichen Gesprächen beim Bier über den „Scheißstaat“ nichts erahnt hatte. Denn kaum sind diese Menschen in der neuen Welt gelandet, rennen sie los, um ehrenamtlich und freiwillig unglaubliche Dinge zu tun, zu denen sie zu Hause keine zehn Pferde hätten hinbringen können. Da wäre der Berliner Familienvater, ein überzeugt kirchenkritischer, religionsferner IT-Spezialist. Als mitreisender Ehemann, der wie üblich keine Arbeitserlaubnis in den USA bekommt, machte er sich beim Roten Kreuz Amerika nützlich – für lau selbstverständlich. Und zwar in der Logistikabteilung dieser durch und durch katholischen Institution. Das macht ihm „einfach Spaß“.

Oder da wäre die mitreisende Ehefrau eines gut verdienenden deutschen Firmenentsandten. Zu Hause, in Hamburg-Winterhude, war sie Lehrerin. Hier in den USA bekommt sie keine Arbeitserlaubnis – und was macht sie? Sie engagiert sich heftig in einer Organisation, die armen, benachteiligten Schulkindern umsonst Nachhilfe gibt. Toll, höre ich sie schwärmen. Denn bei dieser sozialen Tat an Kids aus dem hoffnungslosen Osten der US-Hauptstadt knüpft sie exquisite gesellschaftliche Kontakte. In dieser Organisation engagieren sich nämlich, weil community service neuerdings mit Obama supercool geworden ist, Ehepartner von Senatoren, Weltbank-Abteilungsleitenden und selbst Beamte mit Bürgersinn und Freizeitüberschuss.

Zu Hause in Görmany hätte diese Lehrerin keinen Fuß nach Mümmelmannsberg oder Berlin-Neukölln gesetzt. Wieso umsonst Nachhilfe gegeben? Sollen sich doch erst mal diese bequemen Sozialhilfemütter und Hartz-IV-Väter um ihre Brut kümmern. Ein ostdeutscher Kollege, der nie in der Bundesrepublik angekommen ist, aber den Unternehmergeist der Amis über alles lobt, betreut in den USA nebenher als „Volunteer“ noch ein bis zwei Migranten-Jungs. Latino-Burschen, die hier leicht auf die schiefe Ebene geraten, wenn die Eltern den ganzen Tag bei McDonald’s die Küche schrubben und die Kids lieber in den Park zum Dealen gehen als in die Schule. Denen muss doch nur mit Betreuung geholfen werden, findet er. Zu Hause in Deutschland war er felsenfest überzeugt, dass sich Türken und Araber in Deutschland einfach nicht integrieren wollen. Ja, dass diese Leute bildungsfeindlich und ihre Kids einfach faul sind. Was machen die Amis bloß richtig, dass wir da alle so gern mal mithelfen wollen? ADRIENNE WOLTERSDORF