Spuren von Kelten im Wald

Eine Wanderung zwischen Thüringer Wald und der Rhön auf dem Keltenerlebnisweg. Eine rasante Karriere machten die Kelten bei Esoterikern. Doch bei aller Keltomanie – niemand weiß Genaues, beispielsweise ob sie Wein tranken oder nicht

Der Keltenweg führt uns immer wieder in angenehme Weinorte hinab

von CHRISTEL BURGHOFF

Super. Jetzt ist der Berg zu sehen. Zwei Tagesmärsche liegt er schon zurück. Beim Aufstieg hatten wir schlechtes Wetter. Die großartig versprochene Rundumsicht verlor sich in Nebel und Nieselregen. Aber jetzt, aus der Ferne, zeigt sich der unverwechselbare Dolmar: ein einzelner Berg, 740 Meter hoch, erhebt sich aus der Ebene zwischen den Höhenzügen des Thüringer Waldes und der Rhön. Der Dolmar ist der Hausberg der Meininger. Er ist ein sagenumwobener Berg, der vielen Menschen der Region geradezu heilig ist. Bedeutsam war der Dolmar aber vor allem in prähistorischen Zeiten. Er war ein Kultplatz. Nachweislich siedelten hier zwischen 700 v. Chr. und der Zeitenwende die Kelten. Abendstimmung auf dem Kleinen Gleichberg. Heute liebt uns das Wetter. Im Licht der untergehenden Sonne wirkt die weite Landschaft mit den Höhenzügen am Horizont warm und anheimelnd, wie vom Weichzeichner geschmeichelt. Deutsche Lande zu unseren Füßen, als wären sie zeitlos. Mittelgebirge. Wir sind noch in Thüringen. Anschließend wollen wir durch die fränkischen Haßberge, dann den Main überqueren und schließlich durch den Steigerwald bis nach Bad Windsheim wandern. Eine Strecke von über 200 Kilometern. Dabei folgen wir der Markierung „Keltenerlebnisweg“. Wir wandern von Berg zu Berg. Davon gibt es auf dieser Route eine Menge.

Zur Keltenfestung des Kleinen Gleichbergs sind wir über Steinfelder und Geröllwälle hochgestiegen. In Vorzeiten waren es befestigte Mauern, die sich in Ringen um den Berg zogen. Hier soll ein Fürstensitz gewesen sein. Wir stolpern über Steine und suchen zwischen den Bäumen nach weiteren Aussichtspunkten. Bis zum Riesengebirge kann man hier sehen. Direkt gegenüber, nach Süden hin, liegt der Große Gleichberg. Auch ein ehemaliger Keltensitz. Aus dem Wald heraus lugt der 20er-Jahre-Bau des Steinsburgmuseums. Viele der Keltenschätze, die man hier mit Recht unter der Erde vermutet hat, sind im Museum ausgestellt. Besonders reizvolle Hinterlassenschaften der Kelten sind ihre Bronzefibeln. Es sind die fantastischen Vorläufer unserer heutigen Sicherheitsnadeln. Sie sind oft virtuos geformt, verkörpern Fabeltiere, Mischwesen aus Tier und Mensch, Masken oder stellen Vogelköpfe dar, bilden eine sehr eigenwillige künstlerische Form, die Spekulationen über Kultur und Religion der immer noch rätselhaften Kelten nährt.

Bei aller Keltomanie – niemand weiß Genaues. Seit der Romantik bricht immer mal wieder das Keltenfieber aus. Artus-Sagen machen seither die Runde, sehr populär wurden auch die Asterix-Comics. Eine rasante Karriere machten die Kelten unter modernen Esoterikern, die Naturmystik und Druidenkult für sich entdeckten. Doch die Kelten hinterließen keine schriftlichen Zeugnisse. Die Wissenschaftler sind auf Grabungsfunde und die Schriften von Griechen und Römern angewiesen. Ziemlich sicher ist, dass die Kelten mindestens tausend Jahre lang Zentraleuropa besiedelten und bestimmten. Bis sie Germanen aus dem Norden und Römer aus dem Süden zur Zeitenwende mehr oder weniger verschwinden ließen. Das südliche Deutschland und Frankreich waren keltisches Kernland, zirka 500 v. Chr. setzten sich größere Gruppen in Bewegung: nach Italien, Spanien, nach Südosten (bis in die heutige Türkei) und nach Nordwesten bis nach Irland. Man bezeichnet die Kelten heutzutage gern als die ersten Europäer. Der Dolmar in Thüringen könnte ihr nordöstlicher Außenposten gewesen sein.

Wer den Keltenerlebnisweg geht, trifft auf zahlreiche Spuren. Die Höhensiedlungen liegen untereinander in Sichtweite. Wie Indianer könnten sich auch die Kelten mit Rauchzeichen verständigt haben. Man kommt an Quellheiligtümern und Hügelgräbern vorbei, man kann vor- und frühgeschichtliche Museen besuchen. Nicht alle Höhensiedlungen sind so spektakulär wie die auf dem Kleinen Gleichberg. Nichtarchäologen brauchen manchmal viel Fantasie, um im Wald die alten Steinwälle auszumachen. Vor allem aber ist man tagelang in diesen Wäldern unterwegs, überwiegend in attraktiven Laubwäldern mit vielen Buchen und Eichen, in denen es sich wunderbar gehen lässt. Ein Wanderprogramm, das in gewisser Weise auch erdet. Irgendwann stellt sich nämlich das Gefühl ein, dass alle Wege schon seit eh und je begangen wurden, selbst die abgelegensten. Keltenfeeling in den Fußstapfen von Vorfahren.

Heutzutage führen diese Wege durch unterschiedliche Regionen und deutsch-deutsche Befindlichkeiten zwischen Thüringen und Bayern, wir passieren unter anderem die ehemalige Zonengrenze. Heutzutage leisten wir uns Wellness an Orten, an denen die Kelten schwer arbeiteten. In Bad Königshofen etwa sprudelt Sole aus der Erde. Hier produzierten sie Salz. Für den Eigenbedarf – aber auch zu Handelszwecken. Hier steht die „Frankentherme“, eines von drei Solebädern auf unserer Route.

Die warme Sole ist für Wanderer herrlich entspannend. Und Wohlfühlprogramme für Touristen sind selbstredend erwünscht. Der Keltenerlebnisweg ist ein klassisches, sanft touristisches Projekt, das erst nach der Wende erdacht wurde. Es sollte unter anderem den Fortbestand von Einrichtungen wie dem Steinsburgmuseum sichern. Helmut Hey vom Landratsamt Haßberge, der Erfinder des Weges, verfasste einen hervorragenden Leitfaden. „Wir haben praktisch Heimatkunde betrieben“, sagt er heute. Ein Nebeneffekt, nämlich das wiedererwachte Interesse vieler Einheimischer an der Geschichte, war überraschend. „Viele sind aus allen Wolken gefallen, als sie merkten, was sich in ihrer Gegend tut“, sagt er.

An den Südhängen des Steigerwalds wird Wein angebaut. Eine Spitzenweingegend – die Heimat des fränkischen Bocksbeutels. Unsere Tour wird zur Weinwanderung. Weintrinkers Starplatz auf einer Gasthausterrasse oberhalb von Handthal müsste man erfinden, wenn es ihn nicht gäbe. Während wir den Wein kosten, genießen wir die großartige Aussicht über die Weinhänge bis in die weite Mainebene hinein. Über eine Woche lang sind wir jetzt unterwegs. Die Anstrengung hält sich aber in Grenzen, die Steigerwaldberge liegen alle unter 500 Höhenmetern.

Der Keltenweg führt uns immer wieder in die Weinorte hinab, die zu besuchen sich ohnehin lohnt. Etwa nach Castell oder ins mittelalterliche Iphofen. Alles Namen, die mit Spitzenweinen verbunden sind. An Wochenenden sind die Hecken- und Besenwirtschaften der Winzer geöffnet. Viele haben Gästezimmer. Kannten die Kelten den Wein? Unsere Nachforschungen ergeben ein „Jein“: Die prachtvollen Trinkgefäße etruskischer und griechischer Herkunft, die in den Gräbern des hallstattzeitlichen und frühkeltischen Adels gefunden wurden, lassen an einen Weinimport aus dem Süden denken. Es könnten aber auch reine Prunkstücke gewesen sein. Dass unsere trinkfreudigen Vorfahren neben ihrem geliebten Met auch Gefallen am Wein fanden, gilt erst für das zweite und erste vorchristliche Jahrhundert als sicher. Aus dieser Zeit stammen nämlich die vielen schlichten römischen Weinamphoren, die auch von Kelten verwendet wurden. Den „Elbling“, der aus nostalgischen Gründen noch angebaut wird, den kannten die Kelten ganz sicher, meint Helmut Hey. Nur wie man den Wein herstellt, das wussten sie nicht. Die Rebstöcke brachten erst die Römer mit.

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