„Kein Frieden für Liberia ohne Gerechtigkeit“

Warum der Chefankläger des UN-Sierra-Leone-Tribunals immer noch Liberias Expräsident Taylor vor Gericht sehen will

taz: Ihr Angeklagter Nummer eins, Liberias früherer Präsident Charles Taylor, sitzt nicht auf Ihrer Anklagebank, sondern im Exil in Nigeria. Bekommen Sie ihn noch zu Gesicht?

David Krane: Charles Taylor wird letzlich dem Sondergericht für Sierra Leone übergeben werden. So sieht es das Gesetz vor. Die Menschen weltweit werden darauf bestehen. Keiner steht über dem Gesetz. Nigeria hat die Genfer Konvention von 1949 unterschrieben und auch die Statute, die den Internationalen Strafgerichtshof einsetzen. Diese Vereinbarung verpflichtet alle Länder, die Kriegsverbrecher in ihrer juristischen Reichweite haben, diese vor ein eigenes Gericht zu stellen oder sie dem zuständigen Gericht auszuliefern. Nigerianische Bürger haben dies bereits verstanden und fordern, dass Taylor ausgeliefert werden muss. Das ist ein wichtiger Schritt, dass Afrikaner selbst ihren Führern Druck machen, Verbrecher auszuhändigen, so dass die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen kann.

Und wenn nicht?

Das wäre eine absolute Tragödie. Das würde das Zeichen setzen, dass die Prinzipien von Nürnberg, die so mühsam erarbeitet und über die vergangenen fünfzig Jahre weiterentwickelt wurden, dann nicht zählen, wenn es um Staatschefs geht.

Den Deal zwischen Charles Taylor und afrikanischen Regierungen, dass er ins Exil geht und dafür straffrei bleibt, akzeptieren Sie also nicht – auch wenn vielleicht erst das den Frieden in Liberia ermöglichte?

Es ist wichtig, dass Frieden in Liberia herrscht. Nur haben wir es hier mit einem Kriegsverbrecher zu tun. Taylor musste zuerst politisch entmachtet werden, damit er keine Rolle mehr im Friedensprozess spielen konnte. Jetzt müssen wir den zweiten Schritt gehen, mit einem Prozess gegen ihn, um wirklichen Frieden zu bringen.

Sie werden aber kritisiert, weil Ihr Haftbefehl gegen Taylor erfolgte, als er gerade an Friedensgesprächen in Ghana teilnahm. Taylor reiste daraufhin sofort ab und die Gespräche waren geplatzt. Oder Sie hätten gleich mit einer Eingreiftruppe bereitstehen müssen.

Das war nicht der Grund für den Abbruch der Gespräche. Was Taylor in Ghana vorhatte, diente sicher nicht dem Frieden. Er wollte nur Zeit gewinnen. Das Auslieferungsgesuch lag im normalen juristischen Prozedere. Und sobald Taylor abtrat, kam auch Frieden nach Liberia.

In Sierra Leone arbeitet Ihr Sondergerichtshof parallel zu einer Wahrheitskommission. Wie funkioniert das?

Die Teamarbeit ist gut, es gibt regelmäßige Treffen. Wir haben unterschiedliche Aufgaben, aber dasselbe Ziel: Frieden für Sierra Leone. Unsere Aufgabe als international zusammengesetztes Kriegsverbrechertribunal mit Mandat vom Internationalen Strafgerichtshof ist es, diejenigen zu verfolgen, die die größte Verantwortung für Kriegsverbrechen in Sierra Leone tragen – das sind weniger als zwanzig. Dagegen dient die Wahrheitskommission dazu, dass Einzelne ihre persönlichen Schicksale offenbaren können. Wir beziehen uns in unseren Ermittlungen explizit nicht auf Erkenntnisse der Wahrheitskommission.

Ist das auch ein Modell für Liberia?

Der Friedensvertrag für Liberia sieht ebenfalls eine Wahrheitskommission vor. Man kann sich unschwer vorstellen, dass auch Liberianer ihre Erlebnisse erzählen wollen. Leider, so habe ich den Eindruck, gibt es aber bislang kaum Rufe nach einem Kriegsverbrechertribunal. Im Gegenteil: Man hört die Forderung nach einer Amnestie für die Täter, die die Menschen über viele Jahre terrorisiert haben. Ich finde das beunruhigend. Es kann keinen wahren Frieden ohne Gerechtigkeit geben. Aber mit Gerechtigkeit wird ein Volk Frieden bekommen.

Also ist das Sierra-Leone-Modell exportierbar?

Ich denke, ja. Allgemein glaube ich, dass Sondergerichte, so genannte „hybrid war crimes tribunals“, das Modell der Zukunft für Kriegsverbrechertribunale sein werden. Also zuerst Sondergerichte, bevor dann der Internationale Strafgerichtshof die Verfolgung der Täter aufnimmt.INTERVIEW: HAKEEM JIMO,
FREETOWN