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Reden und rauchen

Improvisationen des urbanen Alltags: Für sein Debüt „Shadows“ (1959) orientierte sich John Cassavetes am Jazz und dem Improvisationstheater

VON BERT REBHANDL

In den Fünfzigerjahren lebte die Boheme in New York in Schwarzweiß. Die berühmten Filme, die überliefert sind, von Shirley Clarke oder von Robert Frank, von Lionel Rogosin oder Ken Jacobs, sind alle auf diesem Material gedreht, erst Jack Smith brachte Farbe (und sexuelle Vielfalt) in die Angelegenheit. John Cassavetes aber brachte 1959 einen Film heraus, der die Kontraste selbst zum Thema machte: „Shadows“ handelte von Licht und Schatten, von Nacht und Tag, und, weil man damals noch in einer anderen Begrifflichkeit voneinander sprach, eben auch von Schwarzen und Weißen, von den Schattierungen der ethnischen Differenz, die vor allem ein weißer junger Mann namens Tony nicht wahrhaben will: „There is no difference between us.“

Er hat eine Nacht mit Lelia verbracht, einer hellhäutigen jungen Frau, die aber doch „negro“ ist. Das sexuelle Abenteuer verläuft desaströs, die nachfolgende Aussprache ist missverständlich. Tony will nicht lockerlassen, dabei möchte Lelia nur nach Hause. Sie lebt in einer Wohnung unweit des Broadways, mit ihren beiden Brüdern, dem Sänger Hugh und dem Taugenichts Ben. Hugh weist Tony die Tür mit der Autorität, die auch ein von Selbstzweifeln geplagter Mann bekommt, wenn er die kleine Schwester beschützen muss.

Die Szene am nächsten Morgen enthält alles, was „Shadows“ berühmt gemacht hat: Lelia (Lelia Goldoni) liegt im Bett und raucht. Sie ist betrübt, kann aber ihre schlechte Laune nicht mehr ganz ernst nehmen, als die Brüder um den Zugang zum Badezimmer streiten. Ben (Ben Carruthers) fläzt sich mit seiner Trompete auf das Bett. Dann kommt Hugh dazu, sie rauchen und liegen herum, reden ein wenig, für den Abend kündigt Hugh (Hugh Hurd) eine Party in der Wohnung an. Wer wird kommen? „Some people.“

Am Ende des Films vermerkt Cassavetes ausdrücklich, was kaum zu übersehen ist: „Shadows“ ist eine Improvisation, geschult an der zeitgenössischen Theaterpraxis, ehrfürchtig aufblickend zum Jazz, dieser ganz anderen, nicht denotativen, freiesten Kunst (tatsächlich gelang es Cassavetes, den Bassisten Charles Mingus für den Soundtrack zu gewinnen). Die Literatur erweist sich als die Form des weißen Mannes, ein Snob-System, zu dem Lelia aber doch einen Zugang sucht. Cassavetes blieb mit seinem ersten Spielfilm aber doch nahe am Theater, das sich damals selbst so frei gebärdete wie selten. Der Radiomoderator Jean Shepherd schickte für seine Sendung „Night People“ regelmäßig mit kleinen, dramaturgischen Anweisungen in die Stadt und brachte das Ergebnis später im Radio: Gespielt wurde auf den Straßen, mit dem Token, der für den Zugang zur U-Bahn gebraucht wurde. „Shadows“ hat ähnliche Szenen, wenn Hugh und sein Manager knapp den Bus oder den Zug zu einem Auftritt außerhalb der Stadt erreichen. Unwiderstehlich sind diese häufig mit langer Brennweite, aus großer Distanz in der Grand Central Station gedrehten Szenen, die natürlich nachsynchronisiert werden mussten.

Der junge Cassavetes hatte für sein Projekt eines unabhängigen Kinos gute Unterstützung: Robert Rossen, einer der interessantesten Hollywood-Regisseure dieser Zeit, machte ihn mit einer leichten 16-mm-Kamera vertraut. Es brauchte zwei Anläufe, bis Cassavetes zu der Fassung gelangte, die als die verbindliche gilt: 1957 zeigte er eine erste Montage, bei der die Reaktionen nicht zu seiner Zufriedenheit ausfielen. Er drehte nach und schnitt neu, und erst zwei Jahre später war der Film fertig. Schon 1960 trauerte Jonas Mekas der Urfassung nach, inzwischen ist der Filmhistoriker und Cassavetes-Experte Ray Carney bei seiner langjährigen Suche nach einer Kopie fündig geworden. Die kanonisch gewordene Fassung von „Shadows“ ist inszenierter, als es der Regisseur später zugeben mochte, aber er hat immer noch diese Momente, in denen das Kino alle anderen künstlerischen Formen, die damals aneinander ausprobiert und aufeinander bezogen wurden, in einem Zeitbild aufhebt, das genau den Moment trifft, in dem sich die Arbeit an seiner Herstellung in ein Spiel verwandelt.

Das „Problem mit den Rassen“, von dem Hugh spricht, wird nicht gelöst, aber das gemischte Milieu des Beginns hat sich am Ende wieder zerstreut. Die Happiness Boys, wie sich Ben und seine Freunde nennen, wenn sie Mädchen anmachen, werden von Weißen vermöbelt. Die Nächte dauern nicht immer lange genug, um eine Frau herumzukriegen, aber die improvisierten Dialoge dauern fast immer lange genug, um zumindest noch einen tollen Satz zu finden. Lelia findet immerhin einen guten Tänzer. Am Morgen verlieren sich die Spuren der Bohemiens irgendwo off Broadway.

„Shadows“. Regie: John Cassavetes. Mit Lelia Goldoni, Ben Carruthers u. a. USA 1959, 81 Min. Läuft zurzeit im Berliner fsk-Kino

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