Die Bildung tanzen lassen

Ein zwiespältiger Abend bei Laokoon auf Kampnagel: Die dänische Performancegruppe „Hotel Pro Forma“ und ihre freie Goethe-Adaption „Calling Clavigo“

Goethe war der Inbegriff des ersten Bildungsbürgers, umfassend, ja universell gebildet. Doch wie ist es heute um die Bildung bestellt? In Calling Clavigo begaben sich die dänischen Performer von „Hotel Pro Forma“ beim Laokoon Sommerfestival auf Kampnagel auf Spurensuche. Es wurde ein zweigeteilter und ein wenig zweischneidiger Abend.

Ziemlich untheatralisch beginnt alles mit einem nüchternen Vortrag über „Goethe und die Bildung“, den der Kopenhagener Goethe-Experte Per Ohrgaard mit sonorer Stimme im Rampenlicht deklamiert. Er bleibt nicht allein: Im Lichtkegel führen drei Tänzer Bewegungen aus zu seinen Gedanken über Bildung und Vernunftbegriff von der Klassik bis heute. Schließlich der Höhepunkt: die Kunst. Sie gibt den Menschen die Möglichkeit, Erfahrungen durchzuspielen.

Der Professor tritt ab, doch damit ist des Theoretisierens nicht genug. Noch bis zur Pause dürfen die Zuschauer den Denkergüssen der Hamburger Nikola Duric und Gloria Brillowska folgen, die sich erst auf der Bühne, später über Mikrophon von draußen am Tresen mehr und mehr ins Abstrahieren und Spekulieren verlieren. Dazu werfen die drei Körper hinter einer spiegelnden Schablone hübsche Lichtskulpturen auf die Bühne – die von Regisseurin Kirsten Dehlholm beabsichtigte Verbindung zum Wort bleibt dabei eher vage. Später werden sie in der Bühnenmitte zu oszillierenden zweidimensionalen Symbolen werden.

Nach der Pause geht es vor blauer verspiegelter Bühne und Feuerleiste weiter mit einer sehr freien Adaption des Schlussaktes aus Goethes Drama Clavigo. Nanna Susanne Hviid ist Marie, eine blass-blonde Schönheit im weißen Kleid, die vom Taugenichts Clavigo durch Zuspruch des bösen Carlos wiederholt verstoßen wurde. Um sie herum, ganz in Schwarz, Michael Preisler und Bo Madvig als Clavigo und Carlos.

Die Kulisse schimmert eindrucksvoll, die Bewegungen sind akkurat und doch beschleicht einen das ungute Gefühl, eine etwas willkürliche Versuchsanordnung zu bestaunen. An Bildung denkt hier notwendigerweise niemand. Woran der stimmgewaltige Auftritt zweier Sängerinnen nichts ändert und auch nicht das eindrucksvolle Schlussbild: Die Uhr tickt und Clavigo geht seinem Untergang entgegen, gebildet oder ungebildet.

CAROLINE MANSFELD