Fragiles sichtbar gemacht

„Im Schatten der Zelte“ im B-Movie: Film und Diskussion über das Grenzcamp 2002 in Hamburg

von ASTRID KUSSER

Ein Zelt wird ausgebreitet, festgepflockt, vereinte Kräfte stellen die Stangen auf, die Zeltwände spannen sich und eröffnen einen begehbaren Innenraum. Ganz einfach sieht dieser Beginn eines Grenzcamps aus. Gleich kommt die Vokü und dann ein Haufen Leute, die erst selbst kleine Zelte aufbauen und dann die Stadt auf den Kopf stellen. Doch Imma Harms hat einen nachdenklichen Film über das Grenzcamp in Hamburg vergangenes Jahr gemacht, der sich unterscheidet von den altbekannten Strategien autonomer Selbstvergewisserung. Die Berliner Filmemacherin interessiert sich für die Auseinandersetzungen im Inneren der Zelte. Deren dünne Wände macht sie zum Symbol für die Fragilität des Sozialen, das hier praktiziert wird.

Gerade weil sich Harms mit dem Projekt grundsätzlich identifiziert, bleibt ihr Blick solidarisch. Ihr Film fördert gegensätzliche Perspektiven zutage, um die es sich lohnen würde zu streiten. Es beginnt mit den Aktionen der ersten Tage: „Bomben auf Harburg“-Flugblätter und inszenierte Ausweiskontrollen bei Touristen auf den Landungsbrücken werden als einfache Wiederholungen sichtbar gemacht. Harms begibt sich auf die Suche nach der hier verfolgten Strategie.

Einer der Organisatoren des sich selbst als „ordnungswidrig“ bezeichnenden Camps will Konflikte wieder in die Gesellschaft hineintragen und so die Ordnung „selbst“ angreifen. Seine Kollegin schüttelt den Kopf: Auseinandersetzungen zu simulieren sei gerade nicht der richtige Weg. Soziale Konflikte fänden im Alltag täglich statt, die Frage sei eher, welche Konflikte aufgegriffen und aus welcher Perspektive sie sichtbar gemacht werden.

Dieser Frage scheint die Kamera nachzugehen, wenn sie den Ausflug zum Abschiebegefängnis Glasmoor begleitet und die unscharfe Grenze zwischen Solidaritätsbekundung und Voyeurismus dokumentiert. Die Kamera zeigt die Gesichter der Demonstranten, die durch den Zaun auf die Gefangenen blicken, die aus den Fenstern schauen und winken. Die Sequenz endet in einem Freeze auf die Gefängnismauern: Die Stimme aus dem Off erklärt, dass sich die Demonstrantinnen nicht länger filmen lassen wollen, weil es hier schließlich nicht um sie, sondern um die Leute im Gefängnis geht, gegen deren Abschiebung sie protestieren.

Das Anliegen der Filmemacherin, die eigene politische Praxis sichtbar, diskutierbar und potenziell fragwürdig zu machen, produzierte auf dem Camp Unlust. Zwar war sie von den OrganisatorInnen eingeladen worden, doch die Drehgenehmigung musste bei jeder Gelegenheit neu erkämpft werden. Komplizierte Sitzordnungen wurden entworfen, damit jeder selbst entscheiden konnte, ob sein Gesicht aufgezeichnet wird oder nicht. Das Insistieren, selbst zu bestimmen, welche Bilder die anderen von uns produzieren, wurde zur Paranoia. Jede Art von Bildern über die eigene Praxis war unerwünscht – sogar die, die für die Reflexion der Bewegung selbst bestimmt sind.

Im Schatten der Zelte ist vor diesem Hintergrund ein Geschenk an die Szene. Der Film ist ständig auf der Suche nach Bildern, die das fragile Wir, das Harms interessiert, sichtbar machen könnten. Das Camp sieht oft sehr schön aus in diesem Film. Auch behält die Kamera durch eine gewisse Distanz zwischen Ton und Bild die Möglichkeit zum Humor. Doch die interviewten Subjekte erfüllen die an sie gerichtete Erwartung kaum. Eine jüngere Generation antwortet brav, dass sie in dieser Woche viel gelernt hat. Die Kamera verabschiedet sich von den Gesichtern und streift über das Wasser. Das für die Stadt sichtbarste Zeichen des Camps im Freihafen war ein riesiges Banner: „Gegen Abschiebung“. „Warum“, fragt die Off-Stimme, „wird Kritik nur aus der Negation der schlechten Verhältnisse abgeleitet?“

Wer eine politische Perspektive ausschließlich auf den Grenzcamps sucht, wird die Antwort auf diese Frage auch dieses Jahr nicht gefunden haben. Der Film wurde vor einigen Wochen auf dem Camp in Köln gezeigt. Ein außerplanmäßiges Plenum verzögerte den Beginn bis nach Mitternacht. Ein paar hundert Leute schauten den Film trotzdem und gingen dann schweigend nach Hause.

morgen, 20 Uhr, B-Movie