berliner szenen Fünf Wörter

Schlafen wie ein Stein

Nachts vor dem Spätkauf in der Revaler Straße: „Du brauchst das Fahrrad nicht abzuschließen“, sagt eine Stimme von hinten, „ich passe besser auf als jedes Schloss!“ Wer da spricht ist ein sehr kleiner Mann mit einem ehemals grünen Mantel und auseinanderfallenden Schuhen. Er steht fast immer da, hat eine Bierdose in der Hand und unterhält sich mit den Passanten.

Die Stammspäteinkäufer aus dem Kiez kennen ihn schon. Nur, wer ihn zum ersten Mal trifft, erschrickt. Heinz sieht ziemlich übel aus. Die ganzen Jahre saufen und draußen schlafen liegen ihm wie eine rote, vernarbte Maske auf dem Gesicht. Als ob man sie abziehen könnte. Es ist drei Viertel zwölf, und wenn man sich jetzt auf die Fensterbänke des Spätkaufs setzt, kommt Heinz garantiert rüber. „Passt auf, in einer Viertelstunde gehen die Rollläden runter“, sagt er dann. Und gibt einem ein Rätsel auf: „Sagt mir fünf Wörter, die auf -nf enden!“ Senf, Genf, Hanf und Fünf. „Welches ist denn das fünfte Wort, Heinz? Oder gibt’s nur vier?“ Er grinst nur und verrät nichts weiter. Nur, wo er geschlafen hat letzte Nacht und dass es angefangen hat, zu regnen.

Manchmal kommen die Spätkaufverkäufer raus, rennen um Heinz herum und ärgern ihn ein bisschen. Das bringt Heinz aber alles überhaupt nicht aus der Ruhe. Kurz vor zwölf sagt er dann noch mal Bescheid: „Hey, die Rollläden!“ Heinz passt besser auf Fahrräder auf als jedes Schloss, und er beschützt die Spätkäufer vor herunterkrachenden Jalousien. Heinz weiß Witze und Rätsel und lässt sich nicht ärgern. Und Heinz lebt schon lange auf der Straße. „Als ich das letzte Mal am Spätkauf vorbei kam“, erzählt mein Begleiter, „war hier so ein großer Haufen Pflastersteine. Obendrauf lag Heinz. Und hat geschlafen.“ TINA GINTROWSKI