Essen satt statt Kabul

Fünfzehn Germanistik-Studierende aus Kabul sind zu Gast in Essen. Acht Wochen volles Programm in Kultur und Bildung

„Es ist ganz anders als in Afghanistan, es gefällt uns hier sehr gut“, sagt Samina

AUS ESSEN ALEXANDER BÖER

„Ganz oben“, sagt Sateir Khawarih. Der Student im vierten Jahr zeigt sich begeistert von der ersten Rundfahrt durch Essen und mit „ganz oben“ meint er den Ausblick über die Stadt Essen, der sich vom Rathaus der Stadt aus bietet. Khawarih ist einer der 15 besten Studierenden der Universität Kabul und seit dem 4. August in Essen und Umgebung unterwegs.

Für sechs Frauen und neun Männer aus dem dritten und vierten Studienjahr ist es die erste Reise nach Deutschland. „Wir werten diese Reise als wichtiges Ereignis für die Hochschulen unseres Landes“, sagt der afghanische Minister für Hochschulbildung, Sharif Fayez. Zur Reise eingeladen hatte das Institut für Zweit- und Fremdsprachen der Universität Duisburg-Essen. Die NachwuchsakademikerInnen erwartet im Rahmen des acht Wochen dauernden Besuches ein vielfältiges Unterrichts- und Kulturprogramm.

„Es ist ganz anders als in Afghanistan und es gefällt uns hier sehr gut“, sagt Samina Abdalah. Sie ist im dritten Studienjahr und sieht die Reise nach Deutschland als Chance, vor Ort etwas über die „Kultur und das Leben in Deutschland zu erfahren, immerhin existiere der freundschaftliche Kontakt seit 80 Jahren“. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Gäste aus Kabul überhaupt nicht von anderen Studierenden auf dem Campus. Weder sieht man Turbane noch lange schwarze Bärte bei den Studenten noch tragen die Studentinnen Burka. Sie tragen Polo- oder T-Shirts in Kombi mit Leinenhosen oder Jeans und würden weder in der Fußgängerzone noch in der Kneipe nebenan sonderlich auffallen. Die Studentinnen tragen das Kopftuch eher salopp, einige von ihnen haben es sogar zum Halstuch umfunktioniert. Die Blusen und die langen Röcke unterscheiden sich nur in Muster und Farbe von vergleichbarer Mode aus der Boutique um die Ecke.

Die Studierenden, die zwischen 23 und 28 Jahre alt sind, können viel erwarten: Das Duisburg-Essener Institut für Kultur und Sprache (IKS) bietet vielfältigen Unterricht. Kurse zur deutschen Kultur, Fachunterricht mit dem Schwerpunkt Linguistik, Computerkurse und ein Tutorium über das Leben und den Alltag deutscher Studierender stehen auf dem Programm. Ausserdem hat das IKS eine Reihe von Exkursionen organisiert. Die Gäste aus Kabul werden im August und September das Ruhrgebiet und seine weitere Umgebung kennen lernen. Geplant sind unter anderem Besuche in Oberhausen mit Besichtigung des Gasometers, ein Aufenthalt in Münster mit Stadtführung und ein Abstecher in die Düsseldorfer Altstadt.

Untergebracht sind die Studierenden aus Kabul in einem der „besseren Studentenwohnheime“, sagt Ramona Karatas von der Universität Duisburg-Essen und weist die Nachfrage nach dem Namen des Wohnheimes zurück. Das Medienecho sei sehr groß, und sie wolle nicht unbedingt die „falschen Leute vor der Tür stehen sehen“. Karatas erhofft sich eine jährliche Wiederholung der Besuche und baut auf weitere Zusammenarbeit mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienstes, dessen Schwerpunkte in Afghanistan in den Fachbereichen Wirtschaftswissenschaften, Geologie, Naturwissenschaften und Informatik liegen. Der DAAD will auch Nachwuchsgermanisten an der Universität Kabul weiterbilden – ganz so wie die Studierenden in Essen.