Arafat bleibt der Sheriff

Auf den Abbas-Nachfolger wartet unverändert eine Aufgabe: die Sicherheitsdienste unter Kontrolle zu bekommen

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

„Als ob das jemanden interessieren würde“, rief der Bademeister seinem Kollegen zu, nachdem kurz zuvor im Radio die Nachricht vom Rücktritt des palästinensischen Premierministers Mahmud Abbas verkündet wurde. Viele Israelis nahmen die dramatischen Entwicklungen am Wochenende in Ramallah mit wenig Bedauern zur Kenntnis. Gut hundert Tage nachdem Abbas offiziell als Ministerpräsident vereidigt worden war, hegte offenbar kaum noch jemand die Hoffnung, dass er sich gegen den eigentlichen Chef, Palästinenserpräsident Jassir Arafat, durchsetzen könnte.

Wenig Enttäuschung auch auf palästinensischer Seite: „Es ist gut, dass Abbas endlich geht“, meint der junge Taxifahrer Raed. „Uns hat er nichts Gutes gebracht.“ In einem Café in Gaza-Stadt sind sich alle einig: Niemand kann Arafat ersetzen. Dass auch unter alleiniger Führung des Palästinenserpräsidenten die Lebensumstände der Bevölkerung nicht gerade besser wurden, spielt dabei keine Rolle. Ob die Resignation des unter seinem Kampfnahmen Abu Masen bekannteren Abbas auch das Ende für den Friedensprozess bedeutet? „Und wenn schon“, antwortet Raed. „Dieser Frieden ist ein von den USA und Israel aufgezwungener und kann schon deshalb für uns nicht gut sein.“

Einen Tag nach dem zumindest in Führungskreisen, vor allem in den USA, Europa und Israel, mit Erschrecken aufgenommenen Rücktritt Abu Masens scheint noch immer alles offen. Arafat bat Abbas, sein Gesuch zurückzuziehen. Aus Fatah-Kreisen verlautete, dass innerhalb von 48 Stunden eine Lösung gefunden werden soll. Doch auch wenn der frustrierte Premier an seinem Rücktritt festhalten wird, ist wahrscheinlich, dass er bis zur Ernennung eines Nachfolgers als Chef einer Übergangsregierung für noch mindestens zwei Wochen im Einsatz bleibt. Im Gespräch als sein Nachfolger sind vor allem Parlamentspräsident Achmed Kurei sowie der auf Druck der USA eingesetzte Finanzminister Salam Fayyad. Kurei hat den Vorteil einer PLO-Karriere. Er genießt im palästinensischen Volk deutlich mehr Sympathie als sein Mitstreiter.

Beide Männer würden mit großer Wahrscheinlichkeit als Verhandlungspartner von Israel akzeptiert werden. Unter den Ministern in Jerusalem wurde unterdessen erneut der Ruf nach einer „Neutralisierung“ des Palästinenserpräsidenten laut. Nicht nur Arafat solle des Landes verwiesen werden, sondern „eine ganze Liste der Bande“, forderte der israelische Minister Dan Naveh im israelischen Rundfunk. Naveh gab sich zuversichtlich, dass das „mit stiller Zustimmung der USA“ möglich werde. Aus Washington kommt unterdessen der Ruf, nichts zu übereilen. Besorgnis wurde auch auf dem Treffen der europäischen Außenminister in Italien laut. EU-Chefdiplomat Javier Solana sprach von einem der „ernstesten Momente für den Nahen Osten“ und plante, noch gestern (Sonntag) Abend nach Jerusalem zu reisen, um den Konflikt zwischen Abbas und Arafat beizulegen.

Kernpunkt der Auseinandersetzung ist die Kontrolle über die Sicherheitsdienste, von denen der entscheidene Teil noch immer Arafat untersteht. Abbas und der von ihm ernannte Minister für Sicherheitsangelegenheiten, Mohammed Dahlan, befehligen nur zwei der insgesamt zwölf Dienste: die zivile Polizei und den präventiven Sicherheitsdienst, den Dahlan seit Beginn der Selbstverwaltung in Gaza kontrollierte. Wiederholte Forderung der USA und Teil der Nahost-Friedensinitiative Roadmap ist es, die Zahl der Sicherheitsdienste zu reduzieren und unter eine zentrale Kontrolle zu stellen, was auch Dahlans Anliegen war. Arafat sabotierte indes alle Ansätze zu einer strukturellen und personellen Reform. Er setzte stattdessen ihm loyale Kommandanten ein, wie erst kürzlich Jibril Rajoub. Der ehemalige Chef des präventiven Nachrichtendienstes im Westjordandland galt – ähnlich wie Dahlan, mit dem er zerstritten ist – über Jahre als potenzieller Nachfolger Arafats. Er soll künftig nationaler Sicherheitsberater werden, ein vorläufig nur vage definiertes Amt. Nach wie vor agieren Nationaler Sicherheitsdienst, mehrere Nachrichtendienste, Militärpolizei sowie einige kleine Sondereinheiten, darunter die Präsidentengarde, mehr oder weniger parallel zueinander und bisweilen auch gegeneinander.

In der vergangenen Woche war es noch nicht einmal möglich, die vermutlich von Arafat geschickten gewaltsamen Demonstranten, die im Verlauf der Parlamentssitzung Fensterscheiben einschlugen und eine Tür einbrachen, dingfest zu machen. Ohne zentrale Kontrolle über die Sicherheitsdienste wird es weder Abu Masen noch seinem Nachfolger gelingen, gegen die militanten Widerstandsgruppen vorzugehen. Das jedoch ist die Bedingung der israelischen Regierung für das Einstellen der gezielten Hinrichtungen islamischer Fundamentalisten.