1.000 Mystizismen tief

Wenn man im Denken innehält: Mit dem neuen Kante-Album „Zombi“ vollzieht die Hamburger Schule den letzten Schritt im Lehrplanwechsel

von GUIDO KIRSTEN

Mit der so genannten Hamburger Schule werden Kante bis in alle Ewigkeit assoziiert werden, so sehr sie sich auch dagegen wehren mögen. Dafür sind die Gemeinsamkeiten mit den alten norddeutschen Helden, die unter diesem Etikett, oft auch gegen den eigenen Willen, subsumiert wurden, zu offenkundig. Kante kommen aus Hamburg und spielen ernst gemeinte Popmusik mit grüblerischen deutschen Texten. Zu allem Überfluss gibt es auch noch personelle Verquickungen: Peter Thiessen war lange Zeit Blumfeld-Mitglied, und die neue Kante-Platte „Zombi“ ist wie schon der Vorgänger „Zweilicht“ von Tobias Levin produziert worden. Levin, der sich langsam zum neuen Chris von Rautenkranz (Produzent der alten Blumfeld-, Sterne- und Tocotronic-Platten) mausert, machte sich einst als Sänger und Texter von Cpt. Kirk & einen Namen. Deren Album „Reformhölle“ aus dem Jahr 1992 ist trotz seiner niedrigen Verkaufszahlen eine der besten Hamburger-Schule-Platten überhaupt – und ein extrem wichtiger Einfluss auf die Entwicklung von Kante.

„Zombi“, der dritte Kante-Longplayer, entstand in enger Zusammenarbeit zwischen Produzent und Band. Tobias Levin ist nicht nur an allen Arrangements beteiligt gewesen – das Booklet zeichnet ihn für zwei Songs sogar als Co-Komponisten aus. In einem einjährigen Arbeitsprozess (inklusive des Labelwechsels von Kitty Yo zu Labels) haben Levin und Kante ein opulentes Werk geschaffen, das an musikalischer Vollmundigkeit den Vorgänger noch überrundet. Auf die Streicherarrangements wurde zwar weitgehend verzichtet, dafür buhlen jetzt afrikanische Rhythmen, wabernde Synthie-Flächen, Jazz-Ästhetizismen, Bläserarrangements und elektronisches Hintergrundgeblubber um die strapazierte Aufmerksamkeit der Hörer. Die ausufernden Songs – drei der zehn Stücke sind länger als acht Minuten – integrieren diese unterschiedlichen Elemente erstaunlich gut. Oft bemerkt man erst nach mehrmaligem Hören, dass sich an einer bestimmten Stelle ein neuer Sound in die Songstruktur geschlichen hat. Und selbst die Brüche wirken wie kunstvoll in die Stücke gemeißelt.

Die gewollte Erhabenheit dieser Musik geht mit dem schleppenden Gesang Peter Thiessens und seinen Texten allerdings eine verhängnisvolle Ehe ein. Zu oft erinnert sein Pathos an die Lyrik von an der Welt leidenden 15-Jährigen. Der Kante-Sänger suhlt sich geradezu in seiner Melancholie: „Es ist, als wäre mir der Boden / unter den Füßen weggezogen“ etc. Die Artikulation der eigenen Befindlichkeit ist dabei nicht das Problem, sondern die Form, in der dies geschieht. Auf „Zombi“ ist das Leiden und Hoffen nämlich nicht nur entpolitisiert, sondern vor allem komplett mystifiziert. Der soziale Rahmen, in dem Lebensentwürfe geplant und verunstaltet werden, kommt nicht zur Sprache. (Dabei war gerade dessen lyrische Verortung eine der Stärken des Hamburger Diskurspops.) Kante überhöhen so, und sei’s ohne bösen Willen, ihr privates Unglück zur anthropologischen Konstante.

Zu diesem Jargon der Eigentlichkeit gesellt sich das rhetorische „Wir“, hinter dem sich das literarische Ich versteckt. „Wir spüren es unter unserer Haut / wie sich die Zukunft in den Adern unserer Körper staut“, heißt es in „Wenn man im Atmen innehält“ zum Beispiel, oder „Wir sehen unmöglich aus / wir sind der Zeit voraus“ im Titelstück. Solche Texte, die in der ersten Person Plural sprechen, stellen Oppositionen her: zwischen „uns“ und „denen“. Das kann ein legitimes und auch sehr schönes literarisches Vorgehen sein. Es verläuft sich aber in nichts sagender Rhetorik, wenn der Opposition die Trennschärfe abgeht. Hier „wir“, die Sensiblen, die irgendwie an der Welt Leidenden, denen trotzdem die Zukunft gehört. Dort „ihr“, der zurückgebliebene Rest, der Mainstream. Jeder, der mag, kann sich der ersten Gruppe zurechnen oder sich mit ihr identifizieren. Da ist kein störendes Adjektiv, nichts und niemand wird ausgeschlossen vom romantisierten Außenseitertum. Thiessens „Wir“ ist genauso diffus wie Negri/Hardts „Multitude“, aber noch viel unbrauchbarer.

Kantes Zukunfts-Metaphorik wiederum wird von der Zeitlosigkeit, mit der nicht nur die Musik kokettiert, konterkariert. Kein Krieg, kein Sozialkahlschlag, kein Neue-Mitte-Patriotismus funkt den romantisierten Streifzügen durchs Ich und die Stadt dazwischen. Ihr diffuser Utopismus wird so umso diffuser. Wovon träumen die ach so verträumten Kante denn eigentlich? Von „warmen Abenden“, „Nebeln“ und davon, dass „die Flüsse für uns singen werden“? Von der vollends verklärten Naturschönheit?

Beachtlich ist, dass Kante ihren Hang zum Mystifizieren mit den Texten der letzten Tocotronic-Platte, die übrigens auch eine Tobias-Levin-Produktion ist, und die Liebe zum Beziehungskitsch mit Blumfelds neueren Eskapismen ins Private oder gar Banale teilen. Es scheint, als habe sich in der Hamburger Schule zwar kein Personal-, aber ein Lehrplanwechsel vollzogen. In Zeiten der sozialen Regression im Land besingen die Volkslehrer den Status nach dem neuerlichen dialektischen Umschlag. Mythos statt Aufklärung.

Kante: „Zombi“ (Kitty Yo/Labels)