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Der Mann, der die Frauen liebt

José Barroso gibt den weiblichen Kommissaren bedeutende Wirtschaftsressorts. Das wichtigste Amt bekommt jedoch ein Mann: Günter Verheugen

VON SABINE HERRE

Der neue EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat ein wahres Wunder vollbracht. Zu diesem Eindruck muss man jedenfalls angesichts der internationalen Reaktionen nach der Postenverteilung in der Kommission kommen. Nahezu jedes EU-Land schien zufrieden zu sein: Litauen freute sich über das Haushaltskommissariat, Irland über das Binnenmarktressort und selbst die sonst so EU-skeptischen Polen zeigten sich zufrieden. Ihre Europaministerin Danuta Hübner wird Kommissarin für Regionalpolitik und ist damit für die Verteilung von 50 Milliarden Euro im Jahr zuständig. Kritik kam nur aus Paris: Frankreich hat an Bedeutung verloren und kein Ressort ersten Ranges erhalten, kommentierte Le Monde.

Wer sich erinnert, wie viel Streit es um die Nominierung des Teams von Romano Prodi gab, konnte sich da nur wundern. Vor fünf Jahren standen mehrere Kommissare wie etwa der Franzose Pascal Lamy unter Korruptionsverdacht, anderen, so zum Beispiel Haushaltskommissarin Michaele Schreyer wurde vorgehalten, nicht einmal Erfahrung in einem nationalen Ministeramt gehabt zu haben. Geschweige denn in Europa.

Diesmal ist das anders. Noch nie in der Geschichte der EU-Kommission haben die Mitgliedstaaten so erfahrene Politiker nach Brüssel geschickt. Drei Exregierungschefs, sechs Außen- oder Europaminister und drei Finanzminister sind in der 25-köpfigen Kommission vertreten, nur fünf – unter ihnen der Deutsche Günter Verheugen – haben noch kein Ministeramt innegehabt.

In Brüssel war man in den letzten Wochen freilich nicht nur glücklich über diese hochrangige Truppe. Beobachter fürchteten eine „Nationalisierung“ der EU-Kommission. Die Regierungen, so Marco Incerti vom Centre for European Policy Studies, könnten versuchen, noch stärker als bisher ihre Interessen in der Kommission zu lancieren.

Doch nun sieht es so aus, als habe Barroso sich diesen nationalen Wünschen nicht gebeugt. Zumindest auf den ersten Blick. Gerhard Schröder konnte Verheugen nicht als „Superkommissar“ für Industrie und Wirtschaft durchsetzen, und auch Jacques Chirac bekam für seinen Kandidaten Barrot nicht das erwünschte Binnenmarktressort. Die Machtverteilung zwischen alten und neuen, großen und kleinen Mitgliedern scheint geglückt. Und: Noch in keiner anderen Kommission hatten Frauen so starke Positionen. Indem Barroso die Schwedin Margot Wallström zu seiner „persönlichen“ Stellvertreterin machte, wird praktisch erstmals eine Frau Kommissionspräsidentin. Mit dem Wettbewerbsressort, dem Haushalt, den Steuern, der Regional- und der Agrarpolitik erhalten fünf weitere Frauen entscheidende wirtschaftspolitische Ämter.

Vor der Verteilung der Ressorts hatte José Manuel Barroso stets erklärt, keine Kommissare erster und zweiter Klasse schaffen zu wollen. Bei seiner Pressekonferenz am Donnerstag kündigte er dann jedoch an, dass es künftig „informelle Gruppen“ von Kommissaren geben werde, die unter Titeln wie „Außenbeziehungen“, „Chancengleichheit“ oder „Wettbewerb“ zusammenarbeiten. Zudem wurde eine Arbeitsgruppe zur so genannten Lissabon-Strategie geschaffen, deren Vorsitz Barroso selbst übernehmen wird und die dazu beitragen soll, Europa bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt zu machen.

Und genau hier könnte die Mär von den gleichberechtigten Kommissaren zu Ende gehen. So sieht das zumindest Andreas Maurer von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik: „Verheugen ist in der von Barroso geführten Arbeitsgruppe zur Lissabon-Stategie Vizevorsitzender. Als Kommissionspräsident hat Barroso Weisungsbefugnis. Dies könnte er auf seinen Vize übertragen.“ Das aber heißt für den EU-Experten: „Barroso ist eingeknickt. Er hat dem Druck der drei großen Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien nachgegeben.“

Tatsächlich zählt das neue Industrieressort des bisherigen Erweiterungskommissars Verheugen zu den weniger wichtigen Aufgabengebieten der EU-Kommission. Entscheidend für die Position des Deutschen sind daher seine Zusatzaufgaben als Stellvertreter Barrosos und Leiter der neuen Arbeitsgruppe für Wettbewerbspolitik. Hier wird er in Zukunft die Arbeit von fünf Ressorts koordinieren und die EU-Kommission im Rat für Wettbewerbsfähigkeit vertreten.

Und so zeigte sich dann nicht nur Günter Verheugen, sondern auch Bundeskanzler Schröder mit Barrosos Entscheidung mehr als zufrieden. „In meinem Amt werden alle Fäden zusammenlaufen“, kommentierte Verheugen. Für Andreas Maurer heißt das aber auch: „Wenn Verheugen zu stark die deutschen Interessen in der Kommission vertritt, dann muss Barroso ihn zurückpfeifen. Sonst ist die Kommission tot.“

Problematisch für die Arbeit der EU-Kommission könnte jedoch auch ihre inhaltliche Einseitigkeit werden. Zwar will sich Barroso zusätzlich um die Koordinierung der Außenpolitik kümmern, doch ansonsten lautet sein Credo „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“. Die wichtigsten Wirtschaftsressorts sind mit Liberalisierungsfans besetzt. Für Verbraucher- oder Umweltschutz scheint der Portugiese ebenso wenig Interesse zu haben wie für Inneres und Justiz. Zwar trägt dieses Ressort nun den Namen „Justiz, Freiheit und Sicherheit“. Eine Verteilung der immer zahlreicher werdenden innenpolitischen Aufgaben auf mehrere Kommissare hielt Barroso aber nicht für nötig. Dass für Asylfragen mit dem Italiener Rocco Buttiglione künftig ausgerechnet ein Exminister Silvio Berlusconis zuständig ist, lässt ahnen: Hier wird es weniger um Freiheit und mehr um Sicherheit gehen.

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