Der Pfleger soll nicht mehr allein entscheiden

Inwieweit sollen Patienten über ihren Tod verfügen dürfen? Das soll jetzt eine Expertenkommission klären

BERLIN taz ■ Die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will der Patientenverfügung mehr Rechtssicherheit verschaffen. „Jeder Mensch soll selbst entscheiden, ob in einem medizinischen Notfall lebensverlängernde Maßnahmen für ihn eingeleitet werden sollen oder nicht“, sagte Zypries gestern. Damit die so genannte Patientenverfügung im Medizinbetrieb stärker berücksichtigt wird, hat Zypries gestern eine Expertenkommission eingesetzt. Diese werde sich ab sofort „mit Fragen der Verbindlichkeit und Reichweite von Patientenverfügungen“ beschäftigen.

Für Bürger ist es derzeit am sichersten, für den Notfall vorzusorgen, indem sie eine Verfügung bei einem Notar hinterlegen. Dieser reicht sie an ein bundesweites Register weiter, auf das Krankenhäuser zugreifen können. Wer sich nicht auf einen Behandlungsmodus festlegen will, kann einfach eine vertraute Person benennen, die später gemeinsam mit dem Arzt entscheiden soll.

Allerdings ist es um die Rechtssicherheit dieser Verfügungen noch schlecht bestellt. Erst im März dieses Jahres hatte der Bundesgerichtshof sie zwar für verbindlich erklärt. Gleichzeitig aber hielten die Richter eine gesetzliche Regelung für wünschenswert. Vor dem Münchner Oberlandesgericht hatte zuletzt ein Pfleger darauf geklagt, die Patientenverfügung ignorieren zu dürfen. Und er hatte Recht bekommen. Der Pfleger könne sich auf einen „Ethikvorbehalt“ berufen, urteilte das Gericht. Er dürfe den Patientenwunsch ignorieren, wenn dieser nicht mit seinem Weltbild vereinbar sei.

Bis zum nächsten Frühsommer haben nun die von Zypries eingesetzten Ärzte, Kirchenvertreter, Rechts-, Gesundheits- und Wohlfahrtsexperten Zeit, Vorschläge zu unterbreiten. Zwei Möglichkeiten zeichnen sich ab. Die Minimalvariante wäre, dass sich die Runde auf einen verbindlichen Formulartext einigt. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie den Gesetzgeber in die Spur schicken wird. Denn zu klären ist auch, welche Rolle die Vormundschaftsgerichte künftig spielen sollen. Bisher werden sie eingeschaltet, wenn sich der Arzt und der betreuende Pfleger nicht auf einen Behandlungsmodus einigen können.

Wie immer auch die Experten entscheiden, sie bewegen sich auf politisch vermintem Gelände. Denn medizinische Hilfe bewusst zu unterlassen ist nicht weit entfernt von aktiver Sterbehilfe. Die aber wird hierzulande als Tabu behandelt – nicht zuletzt wegen der Euthanasieverbrechen der Nationalsozialisten. Aber auch in den Niederlanden, wo seit reichlich einem Jahr ein recht liberales Euthanasiegesetz gilt, geriet die aktive Sterbehilfe zuletzt in die Kritik. Das Gesetz habe dazu geführt, dass mehr Menschen als früher sterben.

Ministerin Zypries dementierte gestern entprechend vehement jeden Zusammenhang zwischen Expertenkommission und aktiver Sterbehilfe. „Uns geht es ums Unterlassen, nicht ums aktive Tun“, sagte sie. Der Leiter ihrer Expertenrunde, der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Klaus Kutzer, allerdings sagte: „Alles muss geprüft werden.“

MATTHIAS BRAUN