Zwischen zwei Welten: Sarmina aus Kabul

Portrait: Sarmina Abdalah studiert Germanistik in der afghanischen Hauptstadt Kabul – und lebt jetzt für acht Wochen in Essen: „Die Menschen hier sind freier.“ In Afghanistan müsse die Emanzipation mit Äußerlichkeiten beginnen

Sarmina Abdalah weiß nicht so recht, was sie mit ihrem Haartuch anfangen soll, während sie ihre ersten Eindrücke von Deutschland schildert. Die himmelblaue Kopfbedeckung wandert von ihrem Kopf an den Hals, dann dreht sie das Tuch in ihren Händen und sie erzählt: In erster Linie sei es Neugier gewesen, die sie als Afghanin dazu bewogen habe, Germanistik zu studieren. In Deutschland lebende Verwandte hätten ihr bei den seltenen Besuchen viel über das Land berichtet. Und als mit dem Ende des Talibanregimes die Universitäten auch für Frauen wieder zugänglich wurden, hat sich Abdalah dann für Germanistik eingeschrieben.

Mit dem jetzigen Aufenthalt in Deutschland hat die junge Frau, die das schwarze Haar in einem Knoten trägt, nicht gerechnet. Es sei eine Gelegenheit, sehr viel zu lernen, sagt sie. Ihre anfängliche Unsicherheit verschwindet, als sie von ihren Eindrücken nach einer Woche Aufenthalt erzählt. „Die Menschen hier sind freier“, sagt Abdalah mit Blick auf die immer noch angespannte Atmosphäre in Kabul. „Laut sagt dort niemand etwas gegen die neue Regierung, nur in den Innenhöfen wird geflüstert“. Nach einer Woche Aufenthalt im Ruhrgebiet ist sie begeistert von Land und Leuten. „Die Menschen hier sind sehr gastfreundlich“, sagt sie und erzählt von den Eindrücken, die sie während der ersten Exkursionen gesammelt hat. Für die Germanistikstudentin ist Deutschland „sehr reich“, aber neidisch sei sie nicht. „Ich will mit Ideen und Anregungen nach Afghanistan zurückkehren, die irgendwann einmal meinem Land ähnlichen Wohlstand verschaffen können.“

Ihre Hände spielen mit dem vor ihr liegendem Haartuch, als sie auf die Situation der Frauen zu sprechen kommt. Unabhängiger seien sie jetzt wohl. Und selbstbewusster im Umgang mit Männern. „Auf den Straßen hier sehen die Frauen geradeaus“ – und findet es seltsam, dass sie mit dem Kopftuch eher auffalle als ohne. In Kabul sei es genau umgekehrt. „Nicht viele Frauen wagen das.“ Afghanistan und Deutschland wären zwei Welten, für sie sei es schwierig zu entscheiden, was sie als Frau mit nach Hause nehmen wolle. Hin und hergerissen zwischen ihrer, wie sie betont, „für afghanische Verhältnisse liberalen Erziehung“ und den neuen Eindrücken sei sie. Die Emanzipation solle gerade bei Äußerlichkeiten beginnen: „In den Vorlesungen bei uns sitzen Männer und Frauen noch überwiegend getrennt“, auch in den Pausen würden die Studierenden jeweils unter sich bleiben. Das müsse sich ändern, es wäre ein „wichtiger Schritt, Grenzen im Kopf abzubauen“.

Das Kopftuch liegt vergessen auf dem Tisch, als die Frau aus Kabul schildert, wie schön es wäre, wenn sich der Austausch zwischen Deutschland und Afghanistan intensivieren würde. Einen Moment lang sucht sie nach den richtigen Worten. „Weniger mittelalterlich“, meint sie schließlich, wäre es dann in ihrem Land. Einer ihrer männlichen Kommilitonen spricht sie an. Samina Abdalah hört stumm zu, nickt. Dann nimmt sie das Kopftuch vom Tisch und bindet es sich wieder um.

ALEXANDER BÖER