Soweit die Kunden tragen

Ein zweitägiger Kongress im Rahmen der Kölner c/o pop widmet sich der Zukunft des Geschäfts mit der Popmusik. Einer der Kernfragen: Hat das Musikfernsehen noch eine Daseinsberechtigung?

von Oliver Minck

Steve Blame ist cool. „Ich bin schwul“, prangt in goldenen Lettern auf dem T-Shirt des ehemaligen MTV- und Viva 2-Moderators. Aus der Nähe betrachtet entpuppt sich das „schwul“ als optische Täuschung: „Ich bin schuld“ steht da eigentlich. Auch keine schlechte Aussage. Besonders vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der deutschen Schallplattenindustrie, der ja letztendlich auch die Verdünnisierung der Popkomm aus Köln zur Folge hatte. Steve Blame ist also schuld daran: Federn und teeren wir ihn.

Weil das dann alles doch nicht ganz so einfach ist, traf sich die Kaste der Pop-Professionellen Ende vergangener Woche im Rahmen der c/o pop zu einem zweitägigen Kongress in den Kölner Rheinterrassen. „Was gibt‘s Neues, außer zu jammern“, lautete das inoffizielle Moto von mem (music entertainment media). In einer Reihe von Panels wurden die Themen der Zukunft diskutiert: Wie kann man auch mit MP3 Geld verdienen? Welche Funktion erfüllt Popmusik eigentlich noch? Liegt die Zukunft von Pop im Videogame? Und hat das Musikfernsehen überhaupt noch eine Daseinsberechtigung?

Abschied von Inhalten

Bei letztgestellter Frage kommt dann auch Steve Blame als Panelmoderator ins Spiel: Trace.TV, ein global orientierter, französischer Musiksender, wird als Modell der Zukunft vorgestellt. Die Philosophie: Bereitstellung eines internationalen Special-Interest-Angebots, im Falle von Trace.TV lautet das: Black Music. Die Digitalisierung des Fernsehens macht‘s möglich: In jedem Ausstrahlungsland sollen dem Programm von Trace.TV landesspezifische Themenschwerpunkte beigemischt werden. Ende 2005 will der Sender von Köln aus auch in Deutschland on air gehen. Dabei sollen verstärkt wieder Inhalte im Vordergrund stehen, so George Boskamp von Trace.TV Germany – ein Thema, von dem sich MTV und Viva schon vor längerer Zeit gänzlich verabschiedet hätten.

Der Trailer des neuen Senders lässt aber auch nicht gerade auf eine rosige Zukunft hoffen: zappelige Bilder, zappelige Mucke, hippes Getue. Sieht so eine MTV-Alternative aus? Auch Thorsten Blodow von WOM darf die Werbeveranstaltung nutzen, um das bahnbrechend neue, crossmediale Marketingkonzept seiner Schallplattenkette vorzustellen. Neues Flagschiff von WOM: der WOM Music Shop auf Viva und Viva plus, ein rein verkaufsorientiertes Sendeformat, bei dem zu jedem Clip gleich auch die Bestellnummer der zugehörigen CD mit eingeblendet wird. De facto ist das die Kapitulation der Musikkultur vor der kommerziellen Verramschung.

Zuvor wurde auf einem Panel zum digitalen Download wunderbar veranschaulicht, wie kompliziert die Lage eigentlich ist: Anbieter und Plattformen wie Apple, T-Online und mp3.de blockieren sich gegenseitig mit unterschiedlichen Dateiformaten wie einst zu Zeiten von VHS- und Video 2000.

Auch über den angemessenen Preis eines MP3-Songs herrscht Uneinigkeit. Bei Apple kostet der Track 99 Cent – viel zu wenig, findet Thorsten Schliesche von T-Online. „Da kommt man gerade mal auf Null raus.“

68er über Popmusik

Johannes Erlemann von mp3.de denkt schon mal einen Schritt weiter. „Ein Musikportal kann nur durch einen Mehrwert überleben.“ Künstleraufbau lautet das Stichwort. Warum der Plattenindustrie das Feld überlassen? mp3.de hat jetzt den ersten eigenen Künstler exklusiv unter Vertrag genommen. Für Schliesche ein undenkbares Modell: „Das ist nicht unsere Kernkompetenz.“

Das für Freitag Nachmittag angekündigte Panel zur akustischen Markenführung fällt dann leider aus, beziehungsweise wird es mit dem vorangegangenen Panel „zusammengelegt“. So ein Pech aber auch. Dann halt zur „Blauen Stunde“ in den Parksaal. Dort diskutiert eine Handvoll ergrauter 68er die Frage, ob denn nun Pur oder die Ärzte die bessere Band sei.

Gut, dass wir mal drüber gesprochen haben. Eigentlich soll es aber um das Thema Kulturförderung gehen. „Wir verbinden Wirtschafts-, Kultur-, und Jugendförderung“, preist Paul Woog sein Stuttgarter Popbüro. Und Steffen Kampeter, ein christdemokratischer Bundestagsabgeordneter, stellt ein für alle Mal klar: „Sie werden Rock- und Popfans bei der CDU finden wie bei den Grünen.“

Kleines Fazit: In der Musikbranche herrscht weiterhin große Orientierungslosigkeit, auch bei der mem konnte der neue Masterplan nicht verkündet werden. Zum Glück hatte man sich das im Vorfeld aber auch erst gar nicht vorgenommen.