Promotiontour mit Rahmenprogramm

Volksfest auf dem Kölner Ring. Zwischen Fressbuden, Marketingständen und Cocktailbars spielen auf insgesamt zwölf Bühnen Rock-Veteranen und RTL-Sternchen. Veranstalter wollen das Programm im nächsten Jahr ändern: „Mehr Klasse statt Masse“

Von SILKE FREUDE

Samstagabend, halb zehn, in Köln. Der U-Bahn Haltestelle Friesenplatz entstiegen, begrüßt den Open-Air-Bummler ein vertrautes Geräusch: rollende und klirrende Bierflaschen auf Asphalt. Von etwas weiter weg dringen ein dumpfer Beat und eine Rockgitarre ans Ohr: Es ist die Gruppe Motörhead, der Headliner der RTL-Bühne. Ein blondes Paar küsst sich im Gewühl. Drei milchgesichtige Jungs, an deren Volljährigkeit berechtigte Zweifel bestehen, teilen sich einträchtig ihre Literflasche Schnaps. Sie sind immerhin alle über 1,70 Meter groß, weshalb das Gebot ethisch korrekter Kölner Schankwirte und Kioskbesitzer, „keine Kurzen für Kurze“, für sie wohl keiner Anwendung bedurfte.

Zwölf Bühnen und eine „gaming zone“ wollen auf dem Ringfest abgeklappert werden. Dazwischen: Fressbuden, Marketingstände, Cocktailbars, ja sogar ein FDP-Stand ist dabei, der aber schon dicht gemacht hat. Vor der Motörhead-Bühne ist es brechend voll. Keine Chance für Nahkampfunwillige, die Rock-Veteranen zu Gesicht zu bekommen. Etwas früher am Abend hatte der Sender schon seinen Haus-„Superstar“ Alexander antanzen lassen.

Ein paar Meter weiter herrscht Volksfestatmosphäre: „Völlig losgelöst von der Erde“ befolgt die euphorisierte Party-Crowd auf der „Dance Area“ die Anweisung des DJs, der für den Auftritt allem Anschein nach frisch vom Ballermann 6 eingeflogen worden ist: „Jetzt strecken wir alle die rechte Hand in die Höhe! Und jetzt die linke! Und jetzt klatschen!!“

Ähnliche Szenen am Marketingstand der Firma Sony. Es gibt was umsonst, das zieht alle an. Ein jungdynamischer Promoter wirft Schlüsselbänder in die Menge. Doch bevor es Geschenke gibt, will er etwas hören: „Und jetzt rufen wir alle So-ny, So-ny“, fordert er.

Dass das Ringfest inzwischen keine reine Musikveranstaltung mehr ist, sondern eher den Charakter eines Straßenfestes hat, ist auch dem Ausrichter nicht entgangen. „Wir brauchen eine ‚Entballermannisierung‘“, meint Henning Röller von Event Profile, „mehr Klasse als Masse.“

Wie typische Kölner sehen die meisten hier auf dem Ring nicht aus. Bonner, Bergheimer und Gladbacher sind dem ersten Eindruck nach in der Überzahl. Die offizielle Ringfeststatistik bestätigt: Nur 43 Prozent der Besucher kommen aus Köln. Doch Befürchtungen, dass mit dem Abwandern der Popkomm auch das Ringfest verödet, scheinen zumindest am Samstag Abend unbegründet. Es ist zwar nicht so brechend voll wie vor ein paar Jahren, aber alle Musiker und DJs finden reichlich Publikum. Das Konzept der Macher, „für jeden etwas“, scheint wieder einmal aufzugehen. Angeboten werden Schlager mit Wencke Myhre, Pop für die Jüngeren mit den H-Blockx, Pop für die Älteren mit „Fury In The Slaughterhouse“ (ja, es gibt sie noch), Techno und erstmals Turkish Pop. Nur internationale Größen sind rar.

Am Nadelöhr zwischen Friesenplatz und Mediapark drängen sich die Massen. Genau dort hat ein Freilufttätowierer seinen Stand aufgebaut. Trotz guter Lage ist er unzufrieden. „Das sagt jeder hier: Wir verdienen dieses Jahr auf Veranstaltungen nicht halb so gut wie sonst.“ Die Frage, wie vielen Leuten er heute schon was gestochen hat, will er gar nicht erst beantworten. Aha, so schlecht steht es also.

Um kurz nach zehn ist das Unterhaltungsprogramm fast schlagartig zu Ende: Lärmschutz. Die Massen scheinen nicht zu wissen, was sie jetzt mit sich anfangen sollen. „Kurz nach Programmende entstehen traditionell die meisten Schlägereien“, sagt ein junger Johanniter-Mitarbeiter und blickt einem mit Blaulicht davon fahrenden Rettungswagen nach. Der Alkoholspiegel ist hoch, die Nacht noch jung, und wohin jetzt? Eine Kurzumfrage ergibt: Drei von drei Befragten wollen noch was trinken gehen. Präferenzen? „Irgendwohin, wo es nicht so voll ist“, sagt einer. Zwei Mädchen wollen noch in ihre Stammbar „Cubana“, zwei ältere Mädchen müssen sich erst per Handy mit dem Rest ihrer Truppe verständigen, der im Trubel abhanden gekommen ist.

„Ach gehnse mir wech“, wehrt ein Taxifahrer am Rudolfplatz genervt ab, „mit dem Ringfest macht unsereiner kein Geschäft. Die Leute kommen doch alle mit ner Pulle Bier in der Hand, laufen die Ringe rauf und runter und fahren dann mit der Bahn nach Hause.“ Wenn er Recht hat, fragt sich natürlich: Wer verdient überhaupt noch am Ringfest?