Das Video als Reliquie

Laokoon-Festival: Rabih Mroué und Linah Saneh aus dem Libanon arbeiten mit der Auflösung von Identitäten. Während die Realität hinter der Aufzeichnung verschwindet, dringen sie mit ihrer Performance „Biokhraphia“ in die Tabuzonen der arabischen Öffentlichkeit vor

Der libanesische Regisseur und Autor Rabih Mroué arbeitet unter anderem als Dokumentarfilmer fürs Fernsehen, in einem Land, in dem es wahrscheinlich schwierig ist, die Fakten immer offen darzulegen. Somit kennt er sich aus mit den Verschiebungen der Repräsentationsebenen von Bild und Text, von Realität und Fiktion, die er in seiner konzeptuellen Kunst denn auch vielschichtig hinterfragt.

Zusammen mit seiner Frau Linah Saneh, ebenfalls Regisseurin und Autorin, hat er die Performance Biokhraphia entwickelt, eine kleine intelligente Arbeit, die zurzeit beim Laokoon-Sommerfestival auf Kampnagel zu sehen ist. All die Fragen, die sie immer schon mal gestellt bekommen – und beantworten – wollte, stellt Saneh sich nun selbst.

„Nach dem Tod macht jeder ein Interview mit sich selbst“, antwortet die Frau mit den roten Locken in dem weißen Nachthemd etwas schnippisch ihrer eigenen fragenden Stimme vom Band. Eine Selbstdarstellung beginnt, die sich schon bald absurd im Kreise dreht, zum Verhör wird, das die selbst ausgelegte Schlinge immer fester zusammenzieht, aus der sich die Befragte nun geschickt herauszuwinden sucht. Die Frau steht hinter doppelwandigem Glas, spricht in diesem fiktiven Interview über Dinge, über die sie in ihrer Kultur nie öffentlich sprechen dürfte, beispielsweise über Sexualität, über den Krieg und auch über ihr Selbstverständnis als Künstlerin. Dieses bezeichnet sie als kafkaesk und beschreibt damit die Situation, in der sie gerade steckt, wütend über die insistierenden Fragen, die sie mit Antworten abwehrt, die so clever und wahr wie nichts sagend sind.

Eine gelbe Flüssigkeit steigt langsam zwischen den Scheiben hoch, verschwommen nimmt man jetzt ihr Gesicht, die lebhafte Mimik und Gestik der Schauspielerin wahr. Schließlich ist sie ganz herausgeglitten zwischen ihren beiden Stimmen, der live gesprochenen und der aufgezeichneten, die sich jetzt mit gleichen Worten synchron übereinander gelegt haben. Ein blasses Videobild repräsentiert nunmehr die Person auf der jetzt grünlich-milchigen Scheibe. Pastisse war in den Zwischenraum geflossen; die anfangs klar getrennten Ebenen vernebeln zusehends.

Der Titel dieser Performance-Installation ist ein Wortspiel, wobei das libanesische „kraphia“ übersetzt unter anderem „Delirium“ bedeutet. Am Schluss füllt Saneh das alkoholische Getränk in winzige Fläschchen ab, auf denen ein Abbild des zuvor gezeigten Videobildes zu sehen ist. Kaufen kann man diese virtuelle Kunstreliquie für 55 Euro – ein gelungener Kommentar auf Formen ikonenhafter Selbststilisierung in der heutigen Medienwelt. Und ein ironisches Spiel mit der Identität, in dem es dem Künstlerpaar aus Beirut gelingt, ein gesellschaftspolitisches Stimmungsbild der widersprüchlichen Kultur im Libanon zu zeichnen. Marga Wolff

Laokoon-Festival, Kampnagel; bis 29.8.