Morgen muss Kanther vor Gericht

Die angeblichen jüdischen Vermächtnisse, die Wahrheitsliebe des hessischen Ministerpräsidenten und die Schwarzkonten der CDU: Was diverse Untersuchungsausschüsse nicht aufklären konnten, beschäftigt nun das Landgericht Wiesbaden. Ein Novum

AUS WIESBADEN HEIDE PLATEN

Ab morgen werden sie sich wiedersehen, die ehemaligen Weggefährten der hessischen CDU-Schwarzgeldaffäre. Vor dem Wiesbadener Landgericht beginnt am Dienstag das Verfahren gegen Exparteichef und Exbundesinnenminister Manfred Kanther, Exschatzmeister Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein und Exwirtschaftsprüfer Horst Weyrauch. Alle drei müssen sich wegen Verdachts der Untreue und der Beihilfe dazu verantworten.

Die 6. Strafkammer terminierte vorerst 15 Verhandlungstage. Wegen des Gesundheitszustandes des 87-jährigen Wittgenstein werde voraussichtlich täglich nicht mehr als drei Stunden verhandelt werden können. Auf der Zeugenliste stehen neben dem amtierenden Ministerpräsident Roland Koch, den Exbundesministern Christian Schwarz-Schilling und Walter Wallmann zahlreiche hessische Parteimitglieder.

Juristisch ist das Verfahren ein Novum. Auch die Staatsanwaltschaft geht nicht davon aus, dass sich die drei Angeklagten persönlich bereichert haben. Das Gericht muss nun klären, ob es strafbar ist, dass sie dem Vermögen der Partei Geld entzogen haben, über das dann nur noch sie allein verfügen konnten. Die Wiesbadener Wirtschaftskammer hatte es zuerst abgelehnt, ein Verfahren zuzulassen, weil die möglichen Straftaten verjährt seien und der Partei außerdem nicht direkt geschadet hätten. Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft entschied das Frankfurter Oberlandesgericht, dass der Schaden für die CDU doch erheblich sei. Es verpflichtete die Wiesbadener Richter zur Eröffnung des Verfahrens.

Der hessische CDU-Generalsekretär Michael Boddenberg erklärte, seine Partei erwarte „eine faire rechtsstaatliche Aufarbeitung“. Die CDU habe parteiintern „alle notwendigen Konsequenzen gezogen“, um „vergleichbare Vorgänge für die Zukunft auszuschließen“. Mit ihrer Aufklärungsarbeit habe sie „das Vertrauen der Bürger erfolgreich zurückgewonnen“. Die Opposition erhofft sich dagegen vor allem Klarheit darüber, ob Ministerpräsident Koch in den Skandal involviert war oder nicht.

Der Hauptangeklagte Kanther teilte mit, er halte die Vorwürfe gegen ihn selbst nach wie vor für unberechtigt. Niemand habe Geld veruntreut, lediglich die Abgabe falscher Parteirechenschaftsberichte sei „ein politischer Fehler“ gewesen, für den er die Verantwortung längst übernommen habe. Vor dem Bundesverfassungsgericht steht noch ein Verfahren an, in dem geklärt werden muss, ob die Strafe von 20 Millionen Euro, die Bundestagspräsident Thierse wegen der gefälschten Rechenschaftsberichte als Parteistrafe gegen die CDU verhängt hatte, bezahlt werden muss.

Kanther hatte Anfang 2000 zugeben müssen, dass er seit 1984 zusammen mit den Mitangeklagten 20,8 Millionen Mark Schwarzgeld auf Konten in der Schweiz und nach Liechtenstein transferiert hatte, deren Existenz der Partei gegenüber verheimlicht wurde. Das Geld war bei Bedarf über die Grenze zurückgeschleust worden. 500.000 Mark sollen 2003 auch in Kochs ausländerfeindlichen Wahlkampf geflossen sein. Wittgenstein verursachte einen zusätzlichen Skandal, als er damals zunächst behauptete, das Vermögen stamme aus „jüdischen Vermächtnissen“, deren Geber anonym bleiben wollten.

Durch Kanthers Geständnis war auch der gerade neu gewählte Ministerpräsident Koch unter Druck geraten. Er musste zugeben, dass er als Nachfolger von Kanther mindestens schon einige Wochen von den illegalen Konten wusste, dies aber öffentlich wahrheitswidrig bestritten hatte. Die Herkunft des Schwarzgeldes ist bis heute, trotz zweier Untersuchungsausschüsse im Land- und im Bundestag ungeklärt. Kanther hatte immer behauptet, das Geld sei legales Parteivermögen, angesammelt durch sparsames Wirtschaften, durch Mitgliedsbeiträge, Zinsen, Wahlkampfkostenerstattung und Spenden. Die Opposition bezweifelte das. Sie vermutete eine Geldwaschanlage der CDU.

Koch versicherte immer wieder, er habe von all dem nichts gewusst, weigerte sich aber, seine Aussagen vor dem Berliner Untersuchungsausschuss zu beeiden. Er musste ein Ordnungsgeld von 511 Euro zahlen.