Senioren sollen Wirtschaft in NRW retten

Gesundheitsministerin Fischer erwartet 100.000 neue Jobs durch altengerechte Dienstleistungsangebote und Produkte. Wissenschaftler kritisieren pauschale Verallgemeinerungen zur Situation der älteren Bevölkerung

Düsseldorf taz ■ Rund vier Wochen vor der Kommunalwahl in NRW suchen Politiker der rot-grünen Landesregierung nach einem wirtschaftspolitischen Silberstreif am Horizont. Die „Generation 50plus“ soll es nun richten. Die Seniorenwirtschaft soll den Aufschwung herbeiführen und zur Entstehung von bis zu 100.000 Jobs in den nächsten zehn Jahren beitragen, fordert SPD-Gesundheitsministerin Birgit Fischer.

Angesichts einer landesweiten Arbeitslosigkeit von 10,3 Prozent appelliert Fischer an die Unternehmen, die „Wirtschaftskraft Alter“ zu erkennen und durch seniorengerechte Produkte und Dienstleistungen zu erschließen. Dabei beruft sie sich auf eine Studie der Landesinitiative Seniorenwirtschaft, die belegen soll, dass mehr als 80 Prozent der Haushalte mit mindestens einem Mitglied über 55 Jahren in einer „finanziell guten bis sehr guten“ Einkommenssituation leben. „Immer mehr Senioren verfügen über ein gutes Einkommen und sind bereit, ihr Geld auszugeben“, so Michael Cirkel von der Landesinitiative.

Gerade die Wirtschaft im Ruhrgebiet muss auf diese Entwicklung reagieren: Wegen einer geringeren Geburtenrate und einer stärkeren Abwanderung junger, qualifizierter Menschen ist die Region von der gesellschaftlichen Alterung besonders stark betroffen. Für die Wirtschaft biete diese Entwicklung aber eine große Chance, wenn sie die Wünsche und Bedürfnisse älterer Menschen ernster nehme als bisher, so die Ministerin. Die Region könnte zu einem „Kompetenzstandort für Fragen der demographischen Entwicklung“ werden.

„Viele Unternehmen haben das Potenzial dieser Altersgruppe noch nicht erkannt“, so Kai von Schoenebeck, Sprecher des Gesundheitsministeriums. Das Gelsenkirchener Institut für Arbeit und Technik (IAT) sowie die Forschungsgesellschaft für Gerontologie (FFG) hätten laut Schoenebeck errechnet, dass in den Gesundheits- und Sozialdiensten sowie in den Bereichen Kultur, Tourismus, Medien und Wohnen allein in NRW ein Beschäftigungszuwachs von bis zu 100.000 Stellen bis zum 2015 zu erwarten sei.

Michael Cirkel relativiert diese Zahlen jedoch: Wenn man heutige Trends fortschreibe, sei davon auszugehen, dass im vorsorgenden Gesundheitsbereich und in der Pharmazie ebenso wie im Bereich Wellness und Fitness eine Ausweitung des Konsums zu erwarten sei. Auch für das Wohnen im Alter sowie für private Haushaltshilfen werde in Zukunft voraussichtlich immer mehr Geld ausgegeben. „Doch große Einschnitte bei den Renten wären für diese Entwicklung fatal“, so Cirkel.

An der aktuellen Diskussion und den Vorschlägen der Ministerin kritisiert Cirkel, dass oft pauschalisiert und ungenau von der „Gruppe der Alten“ gesprochen werde. „Wir sprechen hier von Menschen zwischen denen rund 30 Lebensjahre liegen können. Niemand würde von der Gruppe der 15 bis 45-Jährigen sprechen.“ Wer pauschal die Wirtschaftskraft dieser Gruppe lobe, vergesse, dass insbesondere ältere Frauen in ganz erheblichem Maße von Altersarmut betroffen seien. Auch Sylvia Löhrmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen, warnt vor einer Pauschalisierung, begrüßt aber den Mentalitätswechsel in der Seniorenpolitik: „Viel zu lange hat die Gesellschaft ein negatives Bild vom Alter gehabt.“ ULLA JASPER