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Auf einem Bein zur WM

Vor sieben Jahren fand sich die erste Volleyballmannschaft für Behinderte in Kambodscha zusammen. Inzwischen ist sie Asienmeister und Favorit für die WM Mitte Oktober auf Rhodos

aus Phnom Penh SUSANNE ALCK

Mit einem entschlossenen Hechtsprung pritscht Keam Sokhea den Ball über das Netz. Millimeterarbeit. Damit hat Veasna Man nicht rechnen können. Punkt für Sokheas Mannschaft.

Veasna Man hatte schon öfters im Leben keine Chance. Das fing vor dreizehn Jahren an. Damals fand der Kambodschaner, noch ein Kind, beim Spielen im Dschungel eine Bombe. Der Junge hatte keine Ahnung, was das interessante Metallgerät sein könnte, und versuchte, es zu öffnen. Die Explosion riss ihm den rechten Arm bis über den Ellbogen ab.

Unfälle und Schicksalsschläge gelten in Kambodscha als schlechtes Karma. Menschen, die davon betroffen sind, werden oft vorsichtshalber gemieden. Schule, Ausbildung, Familie – alles nicht denkbar für jemanden wie Veasna Man. Jahrelang schlug er sich als Gelegenheitsarbeiter durch, wohnte mal bei Verwandten, mal an Straßenecken und lernte nie lesen. Heute ist er Sportler und gefeierter Nationalheld. Jeder kennt ihn. Einen Job hat er auch gefunden. Sein Chef macht Reklame mit dem berühmten Angestellten: Veasna Man arbeitet in einem Restaurant – als Kellner.

Sport bedeutet in Kambodscha mehr als Freizeitvergnügen. Er sorgt für Stolz und Begeisterung, Empfindungen, die in dem traumatisierten und völlig zerstörten Land noch ungewohnt sind. Behindertensport war auf Rehabilitationsmaßnahmen beschränkt, bevor die Volleyballer sich organisierten und auf ihrem Gebiet zu Weltstars wurden.

Man und Sokhea sind die Stützen der Nationalmannschaft und haben es zu Ehren gebracht. Bei den Paralympics in Sydney waren die Kambodschaner zum ersten Mal auf internationaler Bühne vertreten. Sie belegten den siebten Platz – von acht. Aber zurück in Phnom Penh wurde ihnen ein Empfang bereitet, den eine Wiederauferstehung Buddhas nicht hätte toppen können. Nie ist das olympische Motto wörtlicher genommen worden. Endlich war von Kambodscha einmal die Rede, ohne dass es um Hilfsbedürftigkeit ging. Fernsehteams, Interviews, Fototermine. Jubelnde Fans. Ehrenrunden durch Phnom Penh, nicht enden wollende Karaoke-Partys und ein Empfang beim Monarchen.

König Norodom Sihanouk hält sich zwar kaum noch in Kambodscha auf, wird aber in der Bevölkerung hoch geschätzt, weil er als Garant für irgendeine Form von Stabilität gilt. In deren Interesse er auch schon mal drei Ministerpräsidenten gleichzeitig einsetzt, damit Ruhe ist. Verwaltet wird das Land ohnehin von Nichtregierungsorganisationen. Unicef klärt Kinder über Landminen auf. Die deutsche GTZ kümmert sich um Verwaltungsfragen, Japaner teeren Straßen für ihre Hondas. Die einzigen beiden Kinderkliniken nach europäischem Standard hat ein Schweizer Arzt eingerichtet, und tausende Straßenkinder erhalten in einem französischen Zentrum Essen und Unterricht. Sportvereine sind unbekannt. Doch auf jedem Dorfplatz wird gebaggert und gepritscht, denn Volleyball ist Nationalsport. Die Behinderten sind aber die Ersten, die organisiert sind, und die Einzigen, die jetzt ohne fremde Hilfsorganisationen auskommen. Hilfe kommt heute, nach sieben Jahren, nur noch in Form von Sponsorengeldern und gelegentlicher fachlicher Unterstützung.

Bei den Paralympics in Sydney hat Daniel Kopplow als Trainer geholfen, damals noch Sportstudent in Köln. Von Kambodscha wusste er kaum etwas – ein Fernsehbild von Kinderschädeln, aufgeschichtet zu einem kleinen Hügel, war alles, was ihm zu diesem Land einfiel. Andererseits: die Olympischen Spiele. Traum jedes Athleten. Und wenn schon nicht als Aktiver, so dachte Kopplow, dann wenigstens einmal als Trainer dabei sein. Er traf auf Männer wie Sokhea und Man: begeistert, hoch motiviert und ohne große technische Kenntnisse. „Außer Pritschen und Baggern konnten die eigentlich nichts“, erinnert sich Kopplow, „wann ein neuer Spieler eingewechselt werden muss und warum, Auszeiten: alles kein Begriff.“

Auch der Deutsche musste lernen. Die Behinderungen sind in Kambodscha ganz anderer Natur als in Europa. Hierzulande sind sie Geburtsfehler oder die Folge von Unfällen. In Kambodscha ist Polio noch immer ein Problem. Die Arbeit an ungesicherten Maschinen fordert Opfer und immer wieder die Landminen. Kein Staat hat im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung so viele Landminenopfer. In der Volleyballmannschaft sind es fast alle. Training für Behinderte, wenn er eher Leistungssport als eine Reha-Maßnahme sein soll, muss also ganz andere Schwerpunkte setzen. Volleyball ist die passende Sportart für Behinderte in Kambodscha, weil Erfolge nicht von Hightech-Rollstühlen abhängen, sondern von Einsatz und Teamgeist. Ein gutes Team kann die Behinderung des Einzelnen ausgleichen. Die Kambodschaner, von ihrer Kultur aus Menschen mit Gemeinsinn, lernten die Stärke schnell. Von der Asienmeisterschaft 2000 in Korea kehrte die Behinderten-Nationalmannschaft mit Goldmedaillen zurück, bei der Weltmeisterschaft Mitte Oktober auf Rhodos gelten sie als Favoriten.

Der sportliche Erfolg trägt nicht nur zur Integration der behinderten Spieler bei. Die Volleyballer nähren mit ihrem Ansehen eine Aufbaustimmung, die sonst nicht viel Nahrung bekommt. Inzwischen öffnen in den Städten Tanzschulen – die klassischen Tänze mit ihren jahrtausendealten Traditionen werden neu einstudiert. Und rekonstruiert, denn die Roten Khmer haben alle Künstler umgebracht, sodass niemand sein Wissen weitergeben konnte.

Noch ist Kambodscha eine Nation, die nichts gelernt hat. Die Intelligenzija ist ausgerottet, eine ganze Generation fehlt, die Jugend hat weder Ratgeber noch Idole. Die Wirtschaft ist völlig auf ausländische Investitionen angewiesen. Gutmeinende Hilfskräfte und profitorientierte Konzerne konkurrieren auf einem Territorium, das ihnen keine heimische Infrastruktur streitig macht. Womöglich, weil Behindertensport weitgehend unempfindlich gegen wirtschaftliche Interessen ist, kann hier Eigenständiges wachsen. Inzwischen gibt es eine Liga mit elf Mannschaften. Das hat nicht nur sportliche Gründe. Für die Teilnahme an den Paralympics, bestes Argument für die Sponsorenwerbung, schreiben die Kriterien des IPC eine Nationalliga im Land vor. Kambodscha, das in Sydney noch über eine Wildcard qualifiziert war, erfüllt diese Bedingung jetzt.

Schwerer wiegt die zweite Bedingung: sechzehn Staaten aus vier Kontinenten müssen in der fraglichen Sportart antreten, damit sie überhaupt olympische Disziplin wird. Das IPC tendiert zum Sitzvolleyball – besser geeignet für Rollstuhlathleten, also für die Behinderungen der reicheren Länder. Die Entscheidung könnte vom Modell Kambodscha beeinflusst werden: Für ein eigenes Sportprogramm nach kambodschanischem Muster interessieren sich inzwischen auch Länder wie Angola und Afghanistan.

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