hängematte, sozial von JOACHIM FRISCH
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August 2004 in Deutschland. Der Chronist schaukelt in der sozialen Hängematte, ein sanfter Hauch umweht das träge Haupt, drum herum summt und brummt und zwitschert und flattert’s, im inneren Ohr singt Jim Morrison wunderbar somnambul: „Before you slip into unconsciousness / I’d like to have another kiss“. Geschwind noch einen Schluck eisgekühlten Mojito mit Senf … – quatsch, der Geist flirrt und flimmert schon – … zerstoßenem Eis und frischer Limone, ehe Morpheus’ Arme ihn umschlingen. Weit und breit kein Grund zum Klagen, nur zum Stöhnen, zum behaglichen wohlgemerkt, bis ein jähes Krächzen ihn aus dem Schlummer reißt: Krrrräääächhhh. Wie eine heisere Saatkrähe mit Megafon. Und noch mal: Krächchchchch. Kürzer diesmal, schroffer, bedrohlicher. Dann ein Knall, ein dumpfer Schmerz im Rücken, wie ein Hammerschlag. Die Hängematte ist hin, das Rückgrat wohl auch. Es folgt das aus deutschen Vorabend-Krimis bekannte Katastrophenszenario: Zeisigzwitschern und Hummelgebrumm werden zerrissen vom Lalülalü des nahenden Ambulanzwagens.

„Was, Sie machen sich in der sozialen Hängematte breit und stecken nicht mal zehn Euro für die Praxisgebühr ein? Das hammwa gern“, keift die Schwester in der Notaufnahme, „in Finnland werden solche Fälle an der Tür gleich wieder weggeschickt. Kein Geld, kein Arzt.“ Sie schiebt den nun vor Schmerzen stöhnenden Patienten auf seiner Pritsche in den Keller. Grelles Neonlicht blendet ihn, ab und zu fährt eine Fuhre Mensch auf einer ganz ähnlichen Pritsche mit Laken überm Gesicht und Zettel am Zeh vorbei, ganz vorabendkrimigleich. Die Hammerschläge im Rücken werden nur von kurzen Ohnmachtsanfällen unterbrochen. Nach sieben Stunden lässt die Angst vorm Verdursten kurzzeitig die Rückenschmerzen vergessen. Die Bitte um ein Glas Wasser aber erntet Hohn: „Die Typen hab ich gefressen. Nüscht zahlen, aber saufen.“

Nach neun Stunden erscheint ein schlecht gelaunter Arzt, fahrig, übermüdet, gestresst. „Hängematte, sozial?“, fragt er. „Was denn sonst“, giftet es schwesterlicherseits. Der Arzt stellt sich in Hüfthöhe des Patienten neben die Pritsche. „Auf die Seite drehen“, befiehlt er, „mit dem Rücken zu mir.“ Der Patient röchelt, er schafft es so eben. „Schmerztest“, murmelt der Arzt und rammt den Ellbogen gegen die gekrümmte Wirbelsäule. Zur Schwester gewandt: „Diagnose: Mattenriss parasitosis. Therapie: Finnland“, sagt er wichtig und nickt der Schwester zu.

Mit einem Tritt auf die Fußbremse und einem kräftigen Schubs setzt sie die Pritsche in Bewegung, Richtung Schwungtür Hinterausgang. Mit einem lauten Knall fliegen die Metalltürflügel auf. Wie aus dem Nichts erscheint eine tosende, achtspurige Straße, die Pritsche rast auf einen herandonnernden Sattelschlepper voller schlachtreifer Schweine zu. Jetzt endgültig ist Schluss mit lustig, denkt panisch der Chronist, und im gleichen Moment öffnet er die Augen.

Was er die ganze Zeit kaum zu hoffen wagte, ist die Wahrheit: Alles war ein böser Traum. Das Lalülalü des Martinshorns entfernt sich, ringsum blühende Landschaften, und noch immer schaukelt sanft die Hängematte. Sie ist nämlich gar nicht sozial, sondern aus Hanf.