Schurke sein reicht nicht

Die UNO hat eine Reihe sinnvoller Ermächtigungen zum Einsatz militärischer Gewalt gegeben

von MICHAEL BOTHE

Nach dem 11. 9. 2001 ergriff die Vereinigten Staaten ein Gefühl finsterer Entschlossenheit: Der Terrorismus muss bekämpft werden, Hindernisse für die als notwendig erachteten Maßnahmen werden nicht akzeptiert. Der Rest der Welt, ergriffen von einer Welle der Sympathie, widersprach dem nicht. Auch rechtliche Regeln wurden als Hindernisse empfunden, und die USA haben so bei dieser Gelegenheit wesentliche Bestandteile ihrer verfassungsrechtlichen Traditionen über Bord geworfen. Der Schutz der Privatsphäre und die Rechte Beschuldigter in ihrem Prozessverfahren, all das wurde eingeschränkt. Aber da der Kampf gegen den Terror weltweit stattfinden sollte, erschien auch das Völkerrecht als Hindernis.

Terroristen fangen und töten – überall auf der Welt, gefangene Terroristen nach Belieben festsetzen: das erscheint offenbar vielen in der US-Administration als das richtige Mittel des Kampfes gegen den Terrorismus. Was hat das Völkerrecht dazu zu sagen? Wenn es stimmen sollte, dass das Völkerrecht sinnvolle Maßnahmen verhindert: Sollte man es ändern? Und wie?

Zwei Grundfragen stellen sich: Die erste betrifft das staatliche Territorium, auf dessen Gebiet sich Terroristen aufhalten. Darf der Staat, der Opfer terroristischer Gewalt geworden ist, ohne Genehmigung des Aufenthaltsstaates auf eigene Faust Terroristen töten oder fangen? Wenn nein, was ist rechtspolitisch von einem solchen Verbot zu halten?

Zum Zweiten: Gibt es völkerrechtliche Regeln, die verbieten, dass Individuen (seien sie terroristische Verbrecher oder nicht) von staatlichen Organen getötet oder gefangen genommen bzw. gefangen gehalten werden? Verhindern diese Regeln sinnvolle Maßnahmen des Kampfes gegen den Terrrorismus?

Zur Beantwortung der ersten Frage muss man sich mit dem Gewaltverbot des Völkerrechts auseinander setzen. Wenn Soldaten eines Staates auf fremdem Gebiet Personen töten oder gefangen nehmen, so ist das eine grenzüberschreitende militärische Gewaltausübung. Solche „Gewalt zwischen den Staaten“ ist nach der Satzung der Vereinten Nationen und nach völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht verboten. Dieses Gewaltverbot ist eine der wesentlichen kulturellen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts. Es hat zwar Kriege nicht verhindert. Aber es hat das gesellschaftlich-moralische Unwerturteil gegen diejenigen, die Kriege anzetteln, rechtlich untermauert.

In manchen Staaten, so im deutschen Strafgesetzbuch, gibt es auch echte rechtliche Sanktionen. Schließlich soll auch der neue Internationale Strafgerichtshof für die Bestrafung eines Angriffskrieges zuständig sein. Das Gewaltverbot gilt trotz aller Verletzungen. Es ist ernst zu nehmen.

Wo militärische Gewalt ausgeübt wird, berufen sich Staaten deshalb auf Ausnahmen, das heißt auf Situationen, in denen der Einsatz militärischer Gewalt ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann. Solche Rechtfertigungsgründe gibt es drei: die individuelle oder kollektive Selbstverteidigung, eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates und, unter gewissen Umständen, das Hilfsersuchen einer Regierung. In unserer Frage geht es um einseitige Militärmaßnahmen, für die als Rechtfertigung nur die Selbstverteidigung in Frage kommt.

Was ist Selbstverteidigung? Es ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen bewaffneten Angriff abzuwehren. Gegen wen ist solche Verteidigung zulässig? Natürlich nur gegen den Angreifer. Nach dem 11. 9. war es möglich, Afghanistan als einen solchen Angreiferstaat anzusehen, da die effektive Regierung Afghanistans, das waren die Taliban, enge Verflechtungen mit der Terrorgruppe al-Quaida besaß und diese offenbar seit Jahren schon militärisch unterstützte.

Ist aber jeder Staat, auf dessen Gebiet sich zufällig in größerer Zahl zu fangende oder zu tötende Terroristen befinden, ein Angreifer? Auch die Bundesrepublik, wenn sich auf ihrem Gebiet eine Terrorgruppe eingenistet hat? Natürlich nicht, die Bundesrepublik kooperiert ja im Kampf gegen den Terror, und dies auch im eigenen Interesse.

Das Problem sind die Staaten, die nicht bereit oder nicht in der Lage sind, zu unterbinden, dass von ihrem Gebiet terroristische Aktivitäten ausgehen. Somalia und Jemen werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. An dieser Stelle setzt bei manchen die juristische Fantasie ein, mit der begründet wird, dass diese Untätigkeit eines Staates, der Terroristen „beherbergt“, rechtlich genauso zu bewerten sei wie ein bewaffneter Angriff. So kann man das aber nicht sehen.

Das Völkerrecht entwickelt sich durch die Praxis der Staaten. Es gibt keine staatliche Praxis, die als Präzedenzfall für eine solche Ausweitung der Selbstverteidigung angeführt werden könnte. Aber sollte nicht auf eine solche Änderung des Rechts hingearbeitet werden? Gegenwärtig kann die Antwort auf diese Frage nur nein lauten. Es geht nicht an, dass jeder Staat, der die nötigen militärischen Mittel besitzt, mit der Behauptung, ein anderer Staat beherberge Terroristen und tue nichts dagegen, in jenen anderen Staat einmarschieren darf, um die Terroristen selbst zu fangen.

Beim Kampf gegen den Terrorismus gibt es andere sinnvolle Mittel. Wenn die Kooperation mit dem Staat, der Terroristen beherbergt, nicht erreicht werden kann, dann ist es durchaus möglich, den UN-Sicherheitsrat um eine Ermächtigung zur Gewaltausübung zu ersuchen. Dieser hat zwar mit dem Vetorecht seiner ständigen Mitglieder eine Verfahrensregel, die nicht gerade die Entscheidungsfreudigkeit fördert. Aber er hat im letzten Jahrzehnt eine Reihe sinnvoller Ermächtigungen zum Einsatz bewaffneter Gewalt ausgesprochen: Kuwait, Ruanda, Haiti, Bosnien-Herzegowina nach dem Dayton-Abkommen, Kosovo nach dem Ende der Luftangriffe der Natostaaten. Wo er es nicht tat (Kosovo-Krise vor den Natoangriffen, Irak), gab es dafür beachtliche Gründe.

Ähnliche Argumente gelten auch für eine andere, viel beschworene Bedrohung, nämlich die durch so genannte Schurkenstaaten, die nicht nur – angeblich – Terroristen beherbergen, sondern mit ihren – angeblich vorhandenen – Massenvernichtungsmitteln andere Staaten existenziell bedrohen.

Eine Bedrohung ist kein bewaffneter Angriff, es sei denn, der Angriff steht wirklich unmittelbar bevor. Einen Präzedenzfall, der eine Bedrohung einem bewaffneten Angriff gleichsetzen und damit zum Ausgangspunkt für ein Selbstverteidigungsrecht erklären würde, gibt es nicht. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien haben im Irak auch keinen solchen Präzedenzfall geschaffen. Denn sie haben sich zwar zur politischen Rechtfertigung auf die Bedrohung durch den Irak berufen. In ihrer rechtlichen Argumentation haben sie sich auf die alte Irak-Resolution des Sicherheitsrats aus dem Jahre 1990 berufen.

Gewiss, es gibt Staaten, die mit dem Feuer spielen und als Gefahr angesehen werden können. Aber auch die Frage der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen in den Händen unverantwortlicher Staaten ist beim Sicherheitsrat gut aufgehoben.

Das Problem dieser neuen Bedrohungen ist also durch Kooperation und letztlich über den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu lösen. Darum bedarf es keiner Änderung des Völkerrechts, um einseitige Gewaltmaßnahmen sich betroffen fühlender Staaten und ihrer Verbündeten zu rechtfertigen.

Bei der genannten zweiten Frage zur Tötung oder Gefangennahme von Terroristen sind zwei Situationen zu unterscheiden: der bewaffnete Konflikt – sei es ein Konflikt zwischen Staaten, sei es ein Bürgerkrieg – auf der einen Seite, Gewaltmaßnahmen zum Schaffen von Ordnung in Friedenszeiten auf der anderen Seite.

In einem bewaffneten Konflikt ist das Töten von Kombattanten oder auch von Zivilpersonen, die sich unerlaubt an solchen Kämpfen beteiligen, völkerrechtlich gestattet.

Das Töten von Menschen außerhalb dieser Situation des bewaffneten Konflikts ist dagegen engen menschenrechtlichen Grenzen unterworfen. Es ist nur zulässig, um eine gegenwärtige Gefahr für ein hohes Rechtsgut, das anders nicht zu schützen ist, abzuwehren. So etwa bei einer Geiselbefreiung oder zur Verhinderung der Flucht eines Verbrechers.

Das Töten ist kein generell zulässiges Mittel der Verbrechensverfolgung, sondern darf nur dem Schutz anderer Rechtsgüter vor unmittelbarer Bedrohung dienen. Der so genannte Krieg gegen den Terror ist kein bewaffneter Konflikt im Sinne des Völkerrechts, in dem das Töten von Kämpfern ohne weiteres erlaubt wäre. Der Ausdruck ist vielmehr eine Metapher für ein Bündel von Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung.

Nach den Maßstäben des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes sind gezielte Tötungen keine Maßnahmen der Verbrechensverfolgung. Das gilt, wenn ein Staat auf seinem Gebiet handelt; es gilt auch, wenn der Staat auf dem Gebiet eines anderen mit oder ohne Zustimmung des Letzteren handelt.

Der Freiheitsentzug wirft ähnliche Fragen auf. Während eines bewaffneten Konflikts können Kombattanten zu Kriegsgefangenen gemacht, Zivilpersonen aus Sicherheitsgründen interniert werden. Dieser Status der Kriegsgefangenschaft muss bei Ende der aktiven Feindseligkeiten aufgehoben und die gefangene Person freigelassen werden.

Außerhalb des bewaffneten Konfliktes gilt völkerrechtlich ein menschenrechtlicher Standard für Freiheitsentziehungen. Es bedarf einer gesetzlichen Grundlage, das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist zu beachten. In aller Regel darf der Freiheitsentzug nur durch einen Richter genehmigt werden. „Administrativer“ Freiheitsentzug ohne Richter ist nur in engen Grenzen zulässig.

Diese Beschränkungen sind von Regierungen, die mit inneren Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, immer wieder als unbequem angesehen worden. Das Problem ist alles andere als neu, auch wenn heute verstärkt die grenzüberschreitende Dimension hinzukommt. Die menschenrechtlichen Regeln schließen Töten und Freiheitsentzug nicht völlig aus. Aber die Schranken, die sie setzen, haben sich in Jahrzehnten bewährt. Sie sind immer noch ein vernünftiger Ausgleich zwischen staatlichen Sicherheitsinteressen und individueller Freiheit. Der Einzelfall mag schwierig einzuordnen sein. Die Regeln bedürfen keiner Änderung.