beim zeus
: Der Sponsor ist die Mutter

FRANK KETTERER über die Judo-Olympiasiegerin Yvonne Bönisch und deren Umgang mit dem plötzlichen Ruhm

Olympiasiegerin zu sein, kann unendlich müde machen und sehr, sehr anstrengend sein. Zuerst wird einem das Gold um den Hals gehängt, dann die Hymne gespielt, dann muss man Pipi machen für die Dopingprobe, und schließlich nacheinander beim ZDF, im Deutschen Haus und wieder beim ZDF mehr oder weniger dumme Fragen beantworten. Mittlerweile ist es zwei Uhr nachts und man will nur noch eines: schlafen. Aber auch das geht nicht so richtig, weil doch so viel passiert ist und sich das nun im Kopf dreht, so wild wie ein Kettenkarussell. Und schon muss man wieder aufstehen, noch dümmere Fragen beantworten, diesmal im Frühstücksfernsehen der ARD. Irgendwann vormittags sitzt man erneut im Deutschen Haus, vor einem die gesamte deutsche Presse, sieht verdammt müde aus und wird deshalb gefragt: „Frau Bönisch, freuen Sie sich eigentlich gar nicht über Ihren Olympiasieg?“

Yvonne Bönisch aus Potsdam, 1,68 m groß, 59 Kilo schwer, 23 Jahre alt und Olympiasiegerin im Judo, hat den Fragesteller nur angeschaut mit ihren müden Augen. Und dann hat sie ihm erzählt, dass sie noch gar keine Zeit hatte, sich über den größten Erfolg ihrer Karriere zu freuen, und dass sie den ganzen Medienrummel nicht gewohnt sei: „Judo ist ja eine Randsportart. Normalerweise lebe ich eher zurückgezogen.“ Den Wahrheitsgehalt dieser Worte konnte man drei Tage zuvor schon verifizieren, als man mit Kollegen vom Radrennen zurück zum Pressezentrum fuhr – und auch Yvonne Bönisch in der Metro saß, ihren Trainer neben sich. Dass es eine deutsche Olympiateilnehmerin war, hat man an der Kleidung erkannt, der Rest war ein Ratespiel: Ringerin, sagte der eine, Gewichtheberin der andere – und auf beides ist man nur gekommen, weil der Trainer wie ein Gewichtheber oder Ringer aussah. Judo hat keiner gesagt. Wer geht schon zum Judo?

Heute weiß ganz Deutschland, wer Yvonne Bönisch ist und welcher Passion sie nachgeht, fast alle Zeitungen in Deutschland haben ihr Foto groß gedruckt und die Geschichte von ihrem Sieg erzählt. Denn die 23-Jährige hat ja nicht irgendein Gold gewonnen, sondern das erste für Deutschland hier bei den Spielen in Athen. Und wofür Deutschland geschlagene drei Tage gebraucht hat, das hat Bönisch im Schnelldurchgang erledigt: Nur in ihrem ersten Kampf gegen die Spanierin Isabel Fernandez und im Finale gegen Sun Hui Kye aus Nordkorea musste sie über die gesamten fünf Minuten Kampfzeit gehen. „Nach meinem Sieg gegen Olympiasiegerin Fernandez habe ich gemerkt, dass ich alle schlagen kann“, hat Yvonne Bönisch erzählt.

Und nun sitzt sie auf dem Podium im Deutschen Haus, und es sieht fast so aus, als sei es ihr ein bisschen peinlich, im Mittelpunkt zu stehen und von den Scheinwerfern beschienen zu werden, wahrscheinlich ist es sogar so. Sie kämpft lieber, als dass sie große Worte schwingt, aber ein paar Dinge muss sie jetzt erzählen. Dass sie ihr Betriebswirtschaftsstudium vorübergehend an den Nagel gehängt hat, um sich ganz dem Judo zu widmen, zum Beispiel. Dass sie gerne kocht, weil Judo ja „eine Gewichtsklassensportart“ sei und nach den Kämpfen erst mal wieder ein paar Kilos drauf müssten auf den schmächtigen Körper. Schließlich gibt Bönisch ihr Gewicht im Athletenführer mit 59 Kilo an, kämpfen aber tut sie in der Klasse bis 57 Kilo. Oder dass man vom Judo nicht leben könne und sie gespannt sei, ob sich ihre finanzielle Lage nach dem Olympiasieg verbessern werde. Bisher seien ja die Sporthilfe, die regionale Sportförderung Pro Brandenburg und „meine Mutter“ die Sponsoren; Letzterer zahlt es Tochter Yvonne nicht nur durch Medaillen wie zum Beispiel der silbernen bei der letzten WM, sondern auch durch tatkräftige Mithilfe an der Kasse in Mutters Supermarkt zurück. Über ihren Freund soll Yvonne Bönisch ebenfalls ein bisschen was erzählen, schon weil ihr Freund Axel Kirchner auch ihr Trainer ist, aber das tut sie nicht so gerne, ist schließlich Privatsache. „Manchmal ist es positiv, dass er Trainer und Freund ist, weil man da über alles reden kann und er mich genau kennt und weiß, wann ich nicht mehr kann. Und manchmal ist es negativ, weil man ein paar Dinge vom Sport auch mit nach Hause nimmt, zum Beispiel wenn er alles besser weiß“, sagt Bönisch nur.

Der versammelten Presse gefällt dieser Satz, sie lacht. Yvonne Bönisch hingegen lacht nicht, ihr ist dieses Thema viel zu ernst. Nicht etwa, weil es Zoff zwischen den beiden gebe, ganz im Gegenteil, bald sollen die Hochzeitsglocken läuten. Sondern vielmehr, weil ihr Freund und Trainer vom Deutschen Judo-Bund bisher keinerlei Unterstützung erfahren hat, sondern lediglich vom UJKC Potsdam, ihrem Verein, ein kärgliches Salär bezieht. „Seit Jahren werden wir boykottiert, man will uns einfach nicht haben. Aber ich hoffe, dass sich das nun ändert“, sagt Yvonne Bönisch. Sie klingt dabei gar nicht mehr müde, sondern sehr kämpferisch. So kämpferisch, wie eine Olympiasiegerin im Judo eben klingt.