Stilvolle Resteverwertung

Im „Stilbruch“, Hamburgs größtem Gebrauchtwaren-Kaufhaus, wird Sperrmüll verkauft, der manchmal gar keiner ist. Und nebenbei bekommen Langzeitarbeitslose wieder einen Job

von TONIO POSTEL

Holz. Enorm viel Holz. Helle und dunkle Tische, große und kleine Schränke, schmale und breite Kommoden, Regale und allerlei Gestühl sind hier in zwei großen Hallen fein säuberlich arrangiert. Das helle Neonlicht beleuchtet Hunderte von Lampen, hängend und stehend; jede Menge Couch-Garnituren und Polstersessel sorgen dafür, dass die gut 2.000-Quadratmeter-Stellfläche viel kleiner wirkt.

Was zunächst wie ein normales, vielleicht etwas spießiges Möbellager aussieht, stellt sich bei näherer Betrachtung als etwas Außergewöhnliches heraus: „Stilbruch“ ist das größte Gebrauchtwaren-Kaufhaus in Hamburg. Sein Material erhält das Second-Hand-Möbelhaus praktisch von der Straße. Denn alles, was hier verkauft wird, haben andere bereits jahrelang besessen und schließlich als „Sperrmüll“ aussortiert.

„Da steckt eine Menge Arbeit drin“, sagt Tischler Arende Rudolf und streicht über einen edel aussehenden, ovalen Couchtisch, der in dunklem Braun schimmert. Der Preis sorgt für Verwirrung: 29 Euro. Die Antwort ergibt sich erst auf den zweiten Blick: Die kleinen Brandlöcher und die große, tiefe Schramme am oberen Ende des Erlenholz-Tisches hat Rudolf trotz mühevoller Schleifarbeit nicht unsichtbar machen können. Das drückt den Preis.

„Dieser hier ist rund hundert Jahre alt, und der hier um die achtzig“, sagt Rudolf mit seinem leicht russischen Akzent und deutet auf zwei Schmuckstücke aus der Gründerzeit. Tisch und Stuhl sind aus Nussbaum-Holz gearbeitet. Die liebevoll gearbeiteten Muster und Verzierungen zeugen von der gleichen Epoche. Lange werden sie hier aber nicht stehen. Solche Stücke, weiß Rudolf, sind schneller weg, als man gucken kann.

Und im Wandsbeker Gebrauchtwaren-Kaufhaus auch eher die Ausnahme. Im Großen und Ganzen bewegt sich das, was veräußert wird, natürlich „am unteren Ende von dem, was man noch verwerten kann“, sagt Jörg Bernhard. Er ist Geschätsführer von Stilbruch, einer gemeinsamen Tochter der Stadtreinigung Hamburg und der Abakus Beschäftigungsgesellschaft, die er ebenfalls führt.

Denn das vorrangige Ziel von Stilbruch ist nicht der Verkauf von Möbeln: Abakus kümert sich unter anderem um die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Finanziert wird das in Hamburg seit Juli 2001 laufende Projekt deshalb auch nicht von der Stadtreinigung, sondern vom Arbeitsamt und der Behörde für Wirtschaft und Arbeit, die jedem der zehn fest angestellten Stilbruch-Mitarbeiter insgesamt 1.200 Euro pro Person und Monat zahlen. Das durch den Möbelverkauf eingenommene Geld wird zur Deckung der Sammlungskosten der „schonenden“ Sperrmüllabfuhr, aber auch zur Zahlung der „nicht unerheblichen“ Miete benutzt.

Ein „Paradies für Schnäppchenjäger, Sammler und alle, die gern stöbern gehen“, sind laut Eigenwerbung die beiden etwas dumpf riechenden Hallen. Auf jeden Fall laden sie zum Spaziergang durch unzählige Lebensgeschichten ein. Die verblichenen, beigen Couchgarnituren und die mit weinrotem Samt, weißen Rüschen, Bommeln oder Stickereien verzierten Stehlampen erinnern an ein überdimensioniertes Oma-Wohnzimmer. Die Gemälde, Berglandschaft mit Hütte etwa oder Landschaft mit See könnten kaum besser dazu passen.

Zwischen alten Gläsern, Vasen und Tellern plötzlich eine kleine Attraktion: Ein hölzernes Telex-Pult mit Wählscheibe und Schreibmaschinentastatur, die noch das Symbol des eisernen Kreuzes druckt. Neben Kinderwagen, Spielsachen, Garten- und Schaukelstühlen sind verschiedene weitgereiste Koffer gestrandet. Hinter Bücherregalen stößt man auf ein Klavier aus Nussbaum, und in der Elektro-Abteilung stehen Orgeln, Schallplattenstapel, Schreibmaschinen, Radios, Scanner und Musik-Anlagen traulich beieinander. Falls ein Gerät nicht den gewünschten Dienst tut, kann man es auch wieder umtauschen, versichert Betriebsleiterin Helga Hinsche, die zusammen mit einem Lagervorarbeiter die Preise festlegt.

Den durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag, die je nach Monat und Jahreszeit zwischen 1.500 und 2.000 Euro in die Kassen spülen, wird hier einiges geboten. Doch nicht alle stöbern und kaufen so locker wie die beiden jungen Frauen, die gerade fröhlich kichernd eine Kommode zum Auto tragen. Besonders die Älteren wirken scheu, beinahe peinlich berührt, dass man sie bei der „Adresse für Schnäppchenjäger“, wo „Möbel von gestern zu Preisen von vorgestern“ , sprich: ab 10 Euro aufwärts, veräußert werden, trifft. Für diesen Kundenkreis gibt es demnächst vielleicht eine Alternative: Ab Oktober sollen die schönsten Stücke im Internet versteigert werden.

Das Gebrauchtwaren-Kaufhaus Stilbruch in Wandsbek, Helbingstraße 63, ist montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr, dienstags 10 bis 19 Uhr und am Samstag von 9 bis 13 Uhr geöffnet.