Die EU-Politik stinkt nach totem Fisch

Greenpeace startet europaweite Kampagne für Fischerei-Schutzzonen in Nord- und Ostsee. Bisher sterben dort jährlich 700.000 Tonnen Meeresbewohner als ungenutzter „Beifang“. Die EU debattiert – aber echter Schutz ist nicht absehbar

VON BERNHARD PÖTTER

Nach einer Stunde in der heißen Sonne rochen die tausende von toten Fischen, Krebsen und Muscheln doch etwas streng. „Aber was hier stinkt, ist nicht der Fisch“, sagte Jörn Jettka von Greenpeace und wies auf den hundert Meter langen Tisch, auf dem die toten Meeresbewohner vor dem Brandenburger Tor drapiert waren. „Was hier stinkt, ist die Politik.“

Eine Politik, die es zulässt, dass jedes Jahr allein in der Nordsee 700.000 Tonnen Meerestiere als „Beifang“ völlig sinnlos sterben: Sie werden nicht gegessen, nicht zu Fischmehl verarbeitet, nicht einmal im Hafen angelandet – sondern gleich wieder tot oder sterbend über Bord gekippt. Von den EU-Fischereiquoten werden diese Tiere – nach Schätzungen von Greenpeace acht Milliarden Lebewesen im Jahr – nicht erfasst: Denn die Quoten gelten für die Anlandung von Fisch, nicht für den Fang auf See. „Für jede Scholle, die wir essen, müssten noch neun weitere tote Schollen auf dem Tisch liegen, die nicht gegessen werden“, so Jettka.

„Leben ist kein Abfall“, lautet denn auch der Slogan der Umweltschützer. Sie fordern 17 weiträumige Schutzgebiete in der Ostsee und der Nordsee, damit sich die Bestände erholen. In insgesamt 40 Prozent der Nord- und Ostsee sollen Fischfang, Förderung von Öl und Gas, Kiesabbau und Schiffsverkehr verboten werden. Statt der heute üblichen Fangmethode, mit schweren Ketten und Schleppnetzen den Meeresboden mehrmals im Jahr regelrecht umzupflügen, sollen „selektive Fangmethoden“ vorgeschrieben werden, die zielgenau die befischten Sorten ins Netz holen und den Beifang reduzieren.

Denn das Meer wird leerer: Laut der Welternährungsorganisation (FAO) werden weltweit bereits drei Viertel aller nutzbaren Fischarten maximal ausgebeutet oder überfischt. Seit 1970 hat sich die Kapazität der weltweiten Fischereiflotten verdoppelt. Die tausende von toten Flundern, Seezungen, Knurrhähnen, Taschenkrebsen, Klieschen, Seeteufeln, Wittlings oder Rochen, die Greenpeace gestern präsentierte, kamen von einem einzigen Fischkutter, der zwei Stunden die Netze ausgelegt hatte. „Aber in der Nordsee gibt es etwa 500 Kutter, die bis zu fünf Stunden am Tag fischen“, sagen die Umweltschützer. Mit den Fischen, die sie nach der Aktion wieder einfroren, wollen sie auf Tournee durch Europa gehen und in den Hauptstädten für eine andere Politik werben.

Die ist bisher nur in Ansätzen zu sehen. Zwar haben nun auch die Fischereiminister die EU erkannt, dass es so nicht weitergeht. „Wir reden inzwischen nicht mehr nur über Quoten, sondern über Ressourcenmanagement“, sagt Alexander Müller (Grüne), Staatssekretär beim Bundeslandwirtschaftsministerium. Deutschland hat deshalb gefordert, bessere Fangmethoden zu entwickeln, das Überbordwerfen des Beifangs zu verbieten und Schutzgebiete auszuweisen – doch nur die Schweden stimmten zu. Statt der festen Schutzgebiete favorisiert Müller zeitliche Schutzzonen an den Orten, wo Fische laichen und sich Jungfische aufhalten. „Teilweise gehen bei der Schollenfischerei 90 Prozent der Jungtiere als Beifang wieder tot über Bord“, so Müller: „Wahnsinn mit System.“