Rumäniens Riviera schläft noch

Für Westtouristen ist Rumänien preiswert, dafür lassen Komfort und Service zu wünschen übrig. Bei einer Mehrzahl der Bettenburgen wurde Außenkosmetik betrieben, Originaleinrichtung und Personal lassen realsozialistisches Flair aufkommen

Schmidts Sitznachbar hat sein Last-Minute-Ticket für 99 Euro ergattert

von HEIKO MEYER

Freudig erregt saß das Rentnerehepaar Schmidt im Condor-Ferienflieger von Berlin-Schönefeld nach Constanza, nur beim Start schob sie etwas ängstlich ihre kleine Hand in die seine. Unterdessen erklärte er dem Sitznachbarn, warum dies für sie beide eine ganz besondere Reise sei. Einst waren sie mit DDR-Jugendtourist in den allerersten Urlaub ans Schwarze Meer gefahren, und nun hatten ihre Kinder zur Goldenen Hochzeit noch einmal dasselbe Ziel für sie gebucht. Zwei Wochen „Rumänische Riviera“, wie es im Neckermann-Katalog neuerdings so schön heißt. „Da sind wir aber mal gespannt, was sich hier in den letzten 40 Jahren getan hat“, sagte Herr Schmidt nach der Landung.

Gleich auf dem Rollfeld machten sich die veränderten politischen Verhältnisse in Gestalt dröhnender Transportflugzeuge der US Air Force bemerkbar. Flug- und Seehafen von Constanza dienten den Amerikanern während des Irakfeldzugs als Umschlagplatz für ihren Truppenaufmarsch. Die dafür vor Ort stationierten Militärs bescherten den Vier- und Fünfsternehotels im benachbarten Badeort Mamaia in der Vorsaison passable Besucherzahlen. Dabei sollte es allerdings bleiben. Denn was folgte, war die seit Jahren schlechteste Saison für die rumänische Tourismusbranche, wobei es die traditionell gut besuchten Litoralküste besonders hart erwischte. Hierher zog es laut Daniel Vasilescu, Präsident des Nationalverbandes der Eigentümer im Tourismussektor, im Juli gerade 43.000 Besucher, von denen weniger als 10.000 aus dem Ausland kamen. Für August, normalerweise der Saisonhöhepunkt, meldeten die zirka 300 Hotels vor Ort eine Auslastung von knapp über 40 Prozent. Eine katastrophales Ergebnis.

Was die Einheimischen betrifft, welche sonst in Scharen die Küste bevölkern, ist der Grund hierfür sicherlich in den stark gestiegenen Preisen zu sehen. Während der Hauptsaison müssen sie für ein Hotel der unteren Kategorie mittlerweile bis zu 20 Euro pro Nacht hinblättern. Bei einem Durchschnittseinkommen von monatlichen knapp 150 Euro der pure Luxus. Viele Rumänen, die gewöhnlich bis zu vierzehn Tage am Meer verbrachten, können sich jetzt gerade noch ein Wochenende im Hotel leisten oder weichen auf Zeltplätze aus, wobei der Proviant nicht selten im klapprigen Dacia von zu Hause mitgebracht wird.

Für Westtouristen ist Urlaub in Rumänien zwar preiswert, dafür lassen Komfort und Service allerdings nicht selten zu wünschen übrig. Bei einer Mehrzahl der unter Diktator Ceaușescu erbauten Bettenburgen wurde allenfalls Außenkosmetik betrieben, Originaleinrichtung und lustloses Personal lassen bisweilen noch echtes realsozialistisches Flair aufkommen. Auch die nahezu abgeschlossene Privatisierung sämtlicher Tourismusobjekte konnte daran bislang wenig ändern. Anfang Juli wechselte Tourismusminister Dan Matei Agathon auf den Posten des Generalsekretärs der regierenden Sozialdemokraten, während seine Behörde in das Transportministerium eingegliedert wurde. Zuvor hatte Dan das Draculapark-Projekt im siebenbürgischen Sighisoara in den Sand gesetzt und trotz Abraten von Experten 147 Palmen in Mamaia pflanzen lassen, die seit vergangenen Winter vor sich hin siechen. Gähnende Leere herrscht im nebenan errichteten Aquapark. Für Rumänen sind die Eintrittspreise unerschwinglich, statt Meeresrauschen erwartet die Gäste das Flair einer Autobahnraststätte, da wenige Meter neben Pool und Wasserrutsche der Verkehr aus Constanza vorbeistänkert.

Dabei bräuchten sich rumäniens Tourismusmanager anstelle solcher Schildbürgerstreiche nur ein paar Kilometer weiter südlich an Bulgariens Goldküste abschauen, wie man das Geschäft erfolgreich ankurbelt. Bis dahin scheint es für Rumänien noch ein weiter Weg. So steckt, von wenigen Ausnahmen in den Touristenzentren abgesehen, die Gastronomie noch in den Kinderschuhen, durchgesetzt hat sich lediglich Fastfood. Umso dankbarer ist man für Lichtblicke wie das Restaurant „Victory“, wenige Schritte hinter dem Einkaufsboulevard von Mamaia gelegen. Ein überwiegend einheimisches Publikum lässt sich hier solide rumänische Küche zu günstigen Preisen schmecken.

Nach Norden reiht sich auf der zwischen Schwarzem Meer und einem See gelegenen Landzunge von Mamaia ein Hotelklotz an den anderen. Fern schimmert die Silhouette der Ölraffinerie von Novodari, während zum Wasser hin die Musikboxen der Strandbars kaum einen Zentimeter unbeschallt lassen. Inmitten der Bettenburgen behauptet sich hier ein Reiseveranstalter aus Berlin wacker gegen TUI und Neckermann. Der zur griechischen Minderheit in der Dobrudscha zählende Toni Messerschmidt ist mit einer Deutschen verheiratet und regelt die Geschäfte von April bis September vor Ort. Damit ist er laut seiner Managerin Alma „weit und breit der einzige Boss, der selber mit Hand anlegt. Die anderen tun den ganzen Tag nur wichtig.“ Mit kleinen Tricks, etwa einem Großaufgebot von Empfangsdamen bei jeder eintreffenden Chartermaschine, hat sich Messerschmidt einen Kundenstamm erobert und nach Auskunft seines Berliner Büros selbst in diesem Jahr Zuwächse erzielt. Gelernt hat er sein Handwerk bei der Konkurrenz: „Für TUI habe ich jahrelang in Spanien gearbeitet, daher weiß ich, wie man es richtig macht“, sagt Toni. Messerschmidt schickt seine Gäste auch auf Rundreise in die Karpaten oder zu Tagesausflügen ins Donaudelta, wohin man über holperige Landstraßen in etwa drei Stunden gelangt. Im größten Wasserdschungel Europas existiert mit dem Hotel Kormoran in Uzlina lediglich eine nennenswerte Unterkunft – allerdings bewahrte dieser Umstand das Vogelparadies vor allzu viel Motorbootgeknatter.

Seit die Donaubrücke im serbischen Novi Sad Anfang des Jahres wiedereröffnet wurde, schippern dafür wieder mehr Kreuzfahrtschiffe, von Passau und Wien kommend, auf den drei Hauptarmen des Deltas bis zum Schwarzen Meer. In den Häfen von Tulcea und Murighiol kann man sich zu Tagesrundfahrten einschiffen oder mit ortsansässigen Fischern eine Spritztour aushandeln. Dass die Bootsführer in der Regel über keinerlei Fremdsprachenkenntnisse verfügen, schmälert das Naturerlebnis dabei nicht im Geringsten. Individualreisende sollten dagegen ein paar Brocken Rumänisch und zumindest die Zahlen fließend beherrschen. Das zahlt sich auch abseits der Hotelketten aus, da es zwar keine Zimmervermittlung gibt, man aber regelmäßig von Leuten auf Privatunterkünfte angesprochen wird. Deren Qualität schwankt in den Bergen Transilvaniens erfahrungsgemäß am geringsten. Wer mit dem eigenen Auto anreist, muss Rumänien übrigens kaum mehr fürchten als Italien oder Südfrankreich. In Siebenbürgen gehören deutsche Nummernschilder ohnehin zum Straßenbild, da es viele der nach 1989 in die Bundesrepublik ausgewanderten Rumäniendeutschen regelmäßig in ihre alte Heimat zieht.

Aber auch als Pauschaltourist konnte man diesen Sommer sein Urlaubsglück an der weniger überlaufenen Schwarzmeerküste finden. So gab es für Großvater Schmidt nach zwei Wochen Mamaia „nichts zu meckern, bis auf das eintönige Frühstücksbüffet vielleicht“. „Uns hat es hier ja schon vor 40 Jahren gut gefallen“, pflichtete seine Frau bei. Dass ihr Sitznachbar sein Last-Minute-Ticket für 99 Euro ergatterte, hat die Schmidts dann doch überrascht: „Hin und zurück?“, fragte er ungläubig. „Für den Preis kann man ja gar nichts falsch machen“, sagte Frau Schmidt.