Gläserne Brieftaschen

Schwedens Bosse verdienen vergleichsweise wenig.Das ist immer noch viel und regt die „Gier-Debatte“ an

STOCKHOLM taz ■ Schwedens Wirtschaftsbosse haben gläserne Brieftaschen. Nicht nur wegen der Publizitätsvorschriften im Aktien- und Gesellschaftsrecht. Im Land herrscht für alle Behördenvorgänge das „Öffentlichkeitsprinzip“. Jährlich erscheinen „Steuerkalender“, in denen man nachsehen kann, was der Chef so verdient, ob der Arbeitskollege eine Erbschaft gemacht hat, wie viel Steuern der Nachbar zahlt und ob der künftige Schwiegersohn Schulden hat.

Die Diskussion über das Löhneniveau der Bosse ist daher programmiert. Spätestens wenn die aktuellen Statistiken erscheinen. Und die haben gezeigt, dass in den Führungsebenen unverhältnismäßig zugelangt wurde. Binnen der letzten fünf Jahre stiegen die Cheflöhne um 70 Prozent, die der IndustriearbeiterInnen lediglich um 16 Prozent. Nimmt man die zehn größten Industrieunternehmen, sind die Zahlen noch beeindruckender. Seit Beginn der Neunzigerjahre ein Durchschnittsplus von 610 Prozent – beim Spitzenmann 1.400 Prozent. Verdiente 1990 der Durchschnittsboss so viel wie 16 Industriearbeiter, war es zwölf Jahre später so viel wie 36. Zahlen, die sich dann in Schlagzeilen über „schamlose Selbstbedienung“, „Gier“ und „bodenlose Unmoral“ niederschlagen.

Wenn gerade in der letzten Woche Leif Östling, der Chef des Lkw-Konzerns Scania, meinte, schwedische Bosse seien unterbezahlt, und Ex-Volvo-Chef Sören Gyll gar eine Abwanderung von „Topleuten“ vorhersah, dann wegen des internationalen Vergleichs. Mit durchschnittlich 935.000 Euro bilden nach einer aktuellen Untersuchung des britischen Analyseunternehmens „Boardex“ unter Europas 300 Topunternehmen Schwedens Bosse das Schlusslicht. REINHARD WOLFF