Den Killern ein Alibi

Die ARD versteckt ihre Reihe „Politische Morde“ (15. 9., 21.45 Uhr, „Verrat in Santiago“ und 17. 9., 23.30 Uhr, „Romero – Tod eines Erzbischofs“)

von RAINER BRAUN

Die Erinnerungen an die Bomben auf die Moneda im Herzen Santiagos sind verblasst wie jene an Allendes letzte Worte über Radio Magellan oder den Zynismus des Verräters Pinochet am Tage des brutalen Triumphes über den gewählten sozialistischen Präsidenten.

Zeitgenossen mögen die Erinnerung an den blutigen Herbst 1973 noch im Kopf haben wie die erbitterten Diskussionen hierzulande, als die Dreggers dieser Republik Willy Brandts regierende SPD auf Volksfrontkurs sahen. Nachgeborene haben sich hingegen an die verordnete Normalität Chiles gewöhnt. Warum die ARD dieses Ereignis erst am 15. September aufgreift, nachdem 3Sat und Arte in zahlreichen Dokumentationen und Spielfilmen die Träume und den folgenden, emblematischen Terror in Chile spiegelten, ist mit herkömmlicher Gedankenlosigkeit allein nicht zu erklären. Die renommierte Reihe „Politische Morde“, die sich brisanter Zeitgeschichte und den Hintergründen der Hinrichtungen von Patrice Lumumba bis Aldo Moro widmete, steht ARD-intern offen zur Disposition. Die lieblose Programmierung der vorerst letzten beiden Ausgaben ist mithin gewollt. Dabei bietet die herausragende, weil beispiellose WDR-Konzeption (Redaktion: Heribert Blondiau), die auf individuelle Handschriften setzt, statt rigide Formatierung im Sinne der History-Industry eines Guido Knopp zu fördern, immer noch auf Überraschendes.

Das schließt das Scheitern einzelner Projekte couragiert ein, weil das Ergebnis insgesamt Qualitätsmaßstäbe im Zugriff auf pointierte Zeitgeschichte setzt. In diesem Sinne darf ein brillanter Dokumentarfilmer wie Wilfried Huismann („Lieber Fidel“) sich ehrenvoll verheben, wenn er mit Verrat in Santiago eine verhältnismäßig brave Routinearbeit abliefert. Das Ergebnis ist immer noch ansehnlich, weil Huismann als Regisseur sein Handwerk versteht und versiert historisches Material mit Interviews von aussagekräftigen Zeitzeugen kompiliert. Sachlich aber bleibt sein Beitrag erstaunlich „ausgewogen“ im Sinne der gängigen political correctness, indem er konsequent die Interessen der US-Administration und von Großkonzernen wie ITT oder Pepsi minimiert. Aber, kann man die Geschichte des Putsches in Chile aus heutiger Sicht ernsthaft ohne die Beteiligung von CIA und des Masterminds Henry Kissinger erzählen? Hier wissen die Archive in Washington mehr, als Huismann in 45 Minuten erzählen mag, zumal er den Aufbruch der Volksfront in Chile eher aus der Perspektive des angekündigten Putsches als des Aufbruchs erzählt.

Einen anderen Weg schlagen erfreulicherweise Rena und Thomas Giefer – allerdings leider erst kurz vor Mitternacht – mit ihrer Rekonstruktion eines angekündigten Todes und der Ermordung von Oscar Romero im März 1980 ein. Stimmig und überzeugend zeichnen sie das Porträt eines engagierten Erzbischofs nach, der sich im Zuge des wachsenden Staatsterrors der Oligarchie in El Salvador vom konservativen Kirchenfürsten und strikten Parteigänger Roms zum entschiedenen Verteidiger der Menschenrechte entwickelte und dadurch ins Visier der Todesschwadronen geriet. Dass deren Chef Roberto d’Abuisson in den USA trainiert und mit Wissen der Carter-Administration gnadenlos Kopfgelder auf vermeintlich Subversive in Gewerkschaften, Kirchen und oppositionelle Parteien aussetzte, verbirgt diese exzellente Dokumentation ebenso wenig wie den Blick auf die prekären Machtverhältnisse in Mittelamerika Ende der 70er.

Das Resultat bietet Anschauungsunterricht für Hegemonialpolitik im Hinterhof der USA und erinnert zugleich an einen charismatischen Christen, der wusste, dass es Frieden ohne Gerechtigkeit nicht geben kann.